Dramenwerkbank - Automatische Sprachverarbeitung zur Analyse von Figurenrede

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Authorship
  1. 1. Andre Blessing

    Institut für Maschinelle Sprachverarbeitung, Universität Stuttgart

  2. 2. Peggy Bockwinkel

    Institut für Literaturwissenschaft, Universität Stuttgart

  3. 3. Nils Reiter

    Institut für Maschinelle Sprachverarbeitung, Universität Stuttgart

  4. 4. Marcus Willand

    Institut für Literaturwissenschaft, Universität Stuttgart

Work text
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Einleitung
In diesem Beitrag stellen wir erste Einsichten aus einer quantitativen Analyse von Dramen vor, sowie unsere Konzeption für eine darauf aufbauende interaktive Werkbank, die einen Anstoß für eine Diskussion zur Tool-Unterstützung quantitativer Dramenanalyse geben soll. Die Werkbank unterstützt interessierte Forscherinnen und Forscher beim Einlesen von Dramen aus TEI-basierten Quellen und befindet sich noch in Entwicklung
1. Neben den in Dramen schon explizit kodierten strukturellen Informationen (Wer spricht was?) stellt die Werkbank insbesondere Möglichkeiten zur Verfügung mit Werkzeugen zur maschinellen Sprachverarbeitung auch den Inhalt der Figurenrede zu analysieren. Inspektions- und Aggregationswerkzeuge und -sichten erlauben auch die Analyse größerer Korpora.

Um die Anwendungsgebiete der Werkbank aufzuzeigen, skizzieren wir – anhand einer
Pilotstudie zur Analyse des Verhältnisses von
dramatischer Figur zur dramatischen Handlung – den Problemhorizont quantitativer
Literaturwissenschaft. Dabei interessieren uns insbesondere diese Fragen: Gibt
es einen Zusammenhang zwischen angenommenen prototypischen Rollen (Protagonist,
Intrigant, König usw.) und Länge bzw. Häufigkeit der Redebeiträge oder der
Referenz auf die Figur? Wird über bestimmte Figuren(-rollen) auf bestimmte Arten
gesprochen (abwertend / aufwertend, ...)? Gibt es
Figuren(-rollen)konstellationen, die häufig kookurrieren, und zwar in Bezug auf
ihren eigenen Rede- und Bühnenbeitrag als auch im Bezug auf die Referenzen auf
die Figuren?

Dramenanalyse: Basics
Dramentexte unterscheiden sich insbesondere durch zwei zusammenhängende
Eigenschaften von Prosatexten: a) Dramatische Texte sind im Gegensatz zu vielen
anderen Textsorten auf allen Ebenen (Akt- bis Redefolge) ausgesprochen gut
strukturiert und ermöglichen somit eine verhältnismäßig unaufwändige
Datenerhebung. Die Kehrseite der guten Strukturiertheit ist dass dramatische
Texte damit nicht dem Prototyp eines Textes entsprechen, wie er von vielen
Werkzeugen zur Sprachverarbeitung angenommen wird. Die maschinelle
Sprachverarbeitung auf dramatischen Texten ist damit nicht durch existierende
Werkzeuge „out of the box“ zu leisten. b) Die dramatischen Figuren sprechen unvermittelt. Unterscheidungen zwischen Erzähler- und
Figurenrede und -denken spielen in Dramen keine Rolle. Während Ansätze der
Stilometrie, das Figurensignal vom Erzähler- und jenes wiederum vom
Gattungssignal zu trennen (Jannidis 2014), noch in den Kinderschuhen stecken,
muss sich die (teil-)automatische quantitative Dramenanalyse diesen
interpretativen Problemen nicht stellen. Sie hat vor allem technisch- methodische Probleme zu lösen: a)
Erfassung und Einlesen der Daten und b) (teil-)automatische Textanalyse in
Dramen. Zu letzterem gehört auch der adäquate Einsatz von interpretierbaren
Maßen und transparenten Verfahren sowie visuellen Repräsentationen von
Ergebnissen.

Erfassung und Einlesen der Daten: TEI-Integration
Eine automatisierte Erfassung der Oberflächenstruktur inklusiver aller relevanten
Metadaten dramatischer Texte ist die Grundvoraussatzung einer quantitativen
Textanalyse im oben genannten Sinne. TEI / XML ist als Standard etabliert, um
Texte und Korpora möglichst genau entsprechend der/einer gedruckten Edition
digital zu kodieren (cf. TextGrid; DTA). Insbesondere erlaubt TEI auch die
Kodierung von Seitenzahlen, Formatierungen, Zeilenumbrüchen, Kopf- und Fußzeilen
und vieles mehr, was über den reinen Textinhalt hinausgeht.
Wie Trilcke et al. (2015) auch schon festgestellt haben, ist die Extraktion der inhaltlichen Textstruktur aus den TEI-Daten keineswegs trivial. Für Netzwerkanalyse ist die eindeutige Identifizierung von Figuren besonders relevant, für eine (maschinelle, computergestützte) Analyse des Inhaltes und der Häufigkeit der Figurenrede kommen o.g. Formatierungsmarkierungen noch als Herausforderung hinzu. In unserer Werkbank bieten wir einen Plausibilitätscheck an, der es erlaubt, Fehler im Importprozess (die sowohl durch Fehlannahmen im Importmodul als auch durch Fehlkodierungen in den Quelldaten verursacht werden können) direkt zu erkennen und zu beheben. Einmal identifizierte und behobene Fehler fließen in die Quelldaten zurück.

(Automatische) Textanalyse in Dramen
In den bereits existierenden Arbeiten zur Stilometrie auf Dramen werden komplette
Dramen verglichen (z. B. durch Vorverarbeitung mit DIGIVOY). Ein differenzierter
Vergleich, bei dem einzelne Figuren oder Gruppen von Figuren betrachtet werden,
ist so noch nicht möglich gewesen.
Andere Projekte gehen genau den gegenteiligen Weg und verwerfen alle Dialoginhalte und beziehen ihre Netzwerkanalyse nur auf die Interaktion der jeweils in der Szene aktiven Figuren (cf. Trilcke et al.). Uns ist kein verfügbares System bekannt, das diese Lücke schließt und eine inhaltliche Analyse erlaubt, die sowohl die Interaktion der aktiven Figuren als auch deren Redeinhalt einbezieht.
In unserer Werkbank erfolgt die Textanalyse mit computerlinguistischen
Werkzeugen, welche durch die CLARIN-D Infrastruktur (Mahlow et al. 2014)
bereitgestellt werden. Der Aufbau von Dramen erfordert eine spezielle
Herangehensweise bei der Textanalyse, da die in der Computerlinguistik oft
getroffene Annahme, dass Texte aus vollständigen und grammatikalisch
wohlgeformten Sätzen bestehen, in Dramen nicht zutrifft (wie auch in Texten aus
sozialen Medien oder in gesprochener Sprache). Daneben weisen Dramen die oben
genannte spezifische Struktur auf, die eine adäquate Vorverarbeitung bedingt. Um
eine Verarbeitung mit einer nicht modifizierten CL-Verarbeitungskette zu
ermöglichen, wird das Drama vorher in passende Textsegmente zerlegt. Segmente,
die zu einem Dialog gehören müssen nach der Verarbeitung wieder der jeweiligen
Figur zugeordnet werden. Im Kontext der Figurenanalyse sind insbesondere
Eigennamenerkennung und Koreferenzresolution von Interesse. Wenn man den
stilometrischen Blick weitet und auch syntaktische Konstruktionen (verwendet
eine Figur mehr oder weniger komplexe Satzstruktur?) untersuchen möchte, sind
auch andere linguistische Verarbeitungsschritte möglich.
Die Ergebnisse dieser Verarbeitung werden nicht fehlerfrei sein, deswegen bietet
die Werkbank Möglichkeiten, die Ergebnisse zu korrigieren. Insbesondere die
Zusammenführung von unterschiedlich genannten oder geschriebenen (z. B. „Emilia“
vs. „Emilie“ oder „die Soldaten“ vs. „erster Soldat“) Figuren ist nicht trivial
und teilweise nur durch zusätzliches Weltwissen realisierbar. Damit dieser
Schritt vereinfacht wird kommt hier ein halb-automatischer Figurenabgleich zum
Einsatz. Das überarbeitete und manuell geprüfte Drama kann in einem
TEI-konformen Format exportiert werden, damit die so kuratierte Ressource wieder
der Community zur Verfügung gestellt werden kann. Linguistische Annotationen,
die in TEI nicht direkt repräsentiert werden können, werden in einem geeigneten
stand-off-Format exportiert.

Pilotstudie
In einer Pilotstudie haben wir anhand eines einzelnen Dramas exploriert, wie
der Zusammenhang von (der zentralen) Dramenfigur zur dramatischen Handlung
automatisiert sichtbar gemacht werden kann. Die (zentrale) Stellung im
Figurennetzwerk wird dabei nicht (wie in der aktuellen Forschung gängig;
vgl. Moretti 2011) lediglich durch häufige Präsenz oder Interaktion auf der
Bühne repräsentiert, sondern durch differenziertere Analysen der
Figurenaktivität. Wie häufig eine Figur spricht, wie viel sie spricht und wie häufig
über sie gesprochen wird, sind dabei die Kerndaten der
quantitativen Analyse, auf der weiter vorzustellende Analysen beruhen. Eine
manuelle Datenerfassung übersteigt jedoch selbst bei einzelnen Dramen
schnell den vom Menschen leistbaren Zeiteinsatz (wie die in Abbildung 1
manuell erstellte Erfassung der Redeteile in Emilia
Galotti zeigt):

Abb. 1: „ Token von
x“ = Gesamthäufigkeit der Nennung jeder einzelnen Namensvariante.
Figurennennung = Nennung der Namensvarianten in der
Rede anderer Figuren. Redehäufigkeit = Wie oft spricht
eine Figur. Gesamtzahl der Wörter… = Redelänge in
Wörtern. (Aktivitäts)Quotient = Summe der
Redehäufigkeit geteilt durch die Summe der Figurennennung: X > 1 = Aktiv
(Redet häufiger als über sie geredet wird); X < 1 = Passiv.

NLP-Unterstützte Analysemöglichkeiten in Dramen
Die Kombination von in Dramen vorhandenen strukturellen Informationen und durch automatische Verarbeitung ermittelte inhaltlich-semantische Information erlaubt neue, feinkörnige Analysen von Dramen. Die im Folgenden genannten sollen durch die Werkbank unterstützt werden, entweder durch Integration existierender oder durch Entwicklung neuer Tools.

Oberflächenanalyse der Figuren
Möglich ist eine automatische Auswertung der Figurenreden nach inhaltlichen
Kriterien. Ohne Vorwissen bereitstellen zu müssen, lassen sich wichtige
Begriffe, durch deren Verwendung sich eine Figur von anderen unterscheidet,
mit Verfahren wie TF*IDF ermitteln und z. B. als Tabelle oder als Wortwolke
darstellen. Komplexere Verfahren wie topic modeling (Blei et al. 2003) oder
Wortfeldanalysen können natürlich auch auf den Redeinhalt einer Person (ggf.
auf Akte / Szenen o. ä. eingeschränkt) angewendet werden, erfordern aber
zumindest die Einstellung von Parametern (z. B. Anzahl der topics im topic
modelling) oder das Spezifizieren von Wortfeldern. Automatische Methoden zur
Erweiterung von Wortfeldern (angelehnt an z. B. Query Expansion, vgl.
Manning et al. 2008) können diesen Prozess unterstützen und sollen im
Rahmen der Werkbank erprobt und integriert werden. Abbildung 2 zeigt eine
visuelle Auswertung dieser Analyse.

Abb. 2: Strukturelle und inhaltliche
Analyse von Schillers Johanna von Orleans. Unten: Figurenaktivität. Oben:
Prominenz ausgewählter semantischer Räume in der Figurenrede (Frankreich,
Gott, Militär).

Abb. 3: Anhand der Häufigkeit der
Figurennennung („Emilia“ vs. „Tochter“) kann der (bisher kaum erforschte)
Diskursverlauf im Sinne einer Unterscheidung in private und öffentliche
Konversation sehr gut nachvollzogen werden.

Stilometrische Analysen von Figurenreden
Stilometrische Analysen werden durch eine Schnittstelle ermöglicht, durch die
man Figurenrede als Datenstrukturen in R abrufen und dann nach diversen
Kriterien untersuchen kann, etwa mit Hilfe von stylo (Eder et al. 2013). Es
ließe sich z. B. untersuchen, ob Könige bei Schiller anders sprechen als bei
Lessing, oder ob Bürgerfiguren in einem bestimmten Dramenkorpus anders
sprechen als Adelsfiguren:

Abb. 4: Figurenreden, extrahiert aus 34
Dramen; nach Standeszugehörigkeit benannt.

Sentiment-Analyse
Durch Methoden aus der Sentiment-Analyse (die zur automatisierten Analyse von
Produktreviews eingesetzt wird) ließe sich z. B. analysieren, wie und ob
bestimmte Figuren über andere sprechen. Neben positiv / negativ wären auch
feinere, dramenspezifische Unterscheidungen denkbar (Feigling, Hahnrei,
...).

Kombination mit Netzwerkanalyse
Die Kombination dieser Techniken mit Netzwerkanalyseverfahren würde es
erlauben, im Netzwerk auch Entitäten darzustellen über die geredet wird,
ohne dass sie direkt im Drama vorkommen (z. B. Gott), Kanten zwischen Knoten
können dann (z. B. durch Farben) auch inhaltliche, relationale Informationen
kodieren (X spricht viel / positiv über Y).
Eine Netzwerkdarstellung, in der die Position der Figuren nicht mehr zufällig
(oder durch Layout-Algorithmen gesteuert) ist ist ebenfalls denkbar
(Abbildung 4). Dabei werden prototypischen Figurenrollen feste Positionen in
einem Raster zugewiesen, so dass große Mengen an Netzwerken schnell und
direkt verglichen werden können.

http://www.ims.uni-stuttgart.de/short/dramen

Bibliographie

Blei, David / Ng, Andrew Y. / Jordan, Michael I.
(2003): „Latent Dirichlet Allocation“, in: Journal of
Machine Learning Research 3: 993–1022.

Eder, Maciej / Kestemont, Mike / Rybicki, Jan (2013):
„Stylometry with R: a suite of tools“, in: Digital
Humanities 2013 Conference Abstracts 487-89.

Jannidis, Fotis (2014): „Der Autor ganz nah.
Autorstil in Stilistik und Stilometrie“, in: Schaffrick, Matthias / Marcus
Willand (eds.): Theorien und Praktiken der
Autorschaft. Berlin: De Gruyter 169-195.

Mahlow, Cerstin / Eckart, Kerstin / Stegmann, Jens /
Blessing, Andre / Thiele, Gregor / Gärtner, Markus / Kuhn, Jonas
(2014): „Resources, Tools, and Applications at the CLARIN Center Stuttgart“,
in: Akten der 12. Konferenz zur Verarbeitung natürlicher
Sprache (KONVENS 2014) 11-21.

Moretti, Franco (2011): Network
Theory, Plot Analysis. LiteraryLab Pamphlet 2: http://litlab.stanford.edu/LiteraryLabPamphlet2.pdf [letzter
Zugriff 20. August 2014].

Manning, Christopher D / Raghavan, Prabhakar / Schütze,
Hinrich (2008): Introduction to Information
Retrieval. Cambridge: Cambridge University Press.

Trilcke, Peer / Fischer, Frank / Kampkaspar, Dario
(2015): „Digital Network Analysis of Dramatic“, in: Digital Humanities 2015 Conference Abstracts: http://dh2015.org/abstracts/xml/FISCHER_Frank_Digital_Network_Analysis_of_ Dramati/FISCHER_Frank_Digital_Network_ Analysis_of_Dramatic _Text.xml
[letzter Zugriff 16. Februar 2016].

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In review

DHd - 2016
"Modellierung - Vernetzung – Visualisierung: Die Digital Humanities als fächerübergreifendes Forschungsparadigma"

Hosted at Universität Leipzig (Leipzig University)

Leipzig, Germany

March 7, 2016 - March 11, 2016

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Conference website: http://dhd2016.de/

Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.

Series: DHd (3)

Organizers: DHd