OEAW Österreichische Akademie der Wissenschaften / Austrian Academy of Sciences
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Einleitung
Vorliegender Posterbeitrag geht davon aus, dass digitale Editionen Produkte teils formalisierender, teils interpretierender Prozesse sind und damit in ein herausforderndes „Spiel- und Spannungsfeld“ geraten. Sie sind einerseits Standards verpflichtet, vermitteln jedoch andererseits – bedingt durch Editionsentscheidungen wie Auswahl der Quellen, Modellierung und Präsentation – eine bestimmte Sicht auf das edierte Material, welche durch Wissen und Erkenntnisinteressen der jeweiligen Herausgeber*innen geprägt ist.
Somit stellt sich aber die Frage, welche Spielräume den Herausgeber*innen und welche den Benutzer*innen bei der digitalen Erschließung von Quellen zugestanden werden und wie letztere damit umgehen, dass die ihnen zur Verfügung gestellten Ressourcen bereits durch andere vorgeformt sind. Um hierauf Antworten zu finden, haben die Autorinnen das etablierte Rezensionsorgan „RIDE – A review journal for digital editions and resources“ (https://ride.i-d-e.de/) herangezogen und die Äußerungen der Rezensent*innen als stellvertretend für die Perspektiven von Nutzer*innen untersucht.
RIDE als Untersuchungskorpus
RIDE wird vom Institut für Dokumentologie und Editorik verantwortet und möchte gemäß der Eigendefinition, „ExpertInnen ein Forum zur kritischen Auseinandersetzung“ mit Editionen bieten und damit dazu beitragen, „die gängige Praxis zu verbessern und die zukünftige Entwicklung voranzutreiben“ (RIDE 2019). Insofern gehen aus den bereits erschienenen Rezensionen auch Überlegungen hervor, wie Editionen in Zukunft konzipiert werden könnten. Zudem ist der Kriterienkatalog von Patrick Sahle (in Zusammenarbeit mit Georg Vogeler und anderen Mitgliedern des IDE erstellt, vgl. http://www.i-d-e.de/publikationen/weitereschriften/kriterien-version-1-1/), an dem sich Gutachter*innen orientieren, einerseits „Bewertungsgrundlage“ und andererseits „Checkliste für Wissenschaftler [d.h. für die Ersteller*innen digitaler Editionen]“ (vgl. Henny 2017). Nicht zuletzt sind dadurch auch Minimalanforderungen für das zeitgemäße Edieren formuliert (vgl. Schnöpf 2013: 75), welche dazu beitragen, die Qualität digitaler Editionen zu sichern.
Zum Zeitpunkt der Untersuchung waren auf der Website „ride.i-d-e.de“ im Zeitraum von 2014 bis 2019 bereits sieben Bände zu „wissenschaftlichen Editionen“ mit insgesamt 35 Rezensionen in deutscher und englischer Sprache veröffentlicht worden. Die Daten dieser Rezensionen stehen auf GitHub (https://github.com/i-d-e/ride) zur Verfügung und wurden für die Untersuchung heruntergeladen und als Textkorpus mit insgesamt 161.553 Token aufbereitet. Die Auswertung erfolgte korpusbasiert mithilfe der Suche nach ausgewählten Keywords (etwa: „leider“, „Vorteil“ oder „wünschenswert“), um relevante Textstellen schnell auffinden zu können, sowie über ein „close reading“-Verfahren, um das Verständnis der einzelnen Kontexte zu sichern. Dabei wurden die Belegstellen in Anlehnung an Sahles Kriterienkatalog inhaltlich sortiert und ausgehend von mehreren Fragen ausgewertet:
In welchen Bereichen digitaler Editionen sehen sich Rezensent*innen durch Vorannahmen und Interpretationen eingeschränkt?
In welchen Bereichen digitaler Editionen wäre aus Sicht der Rezensent*innen mehr Formalisierung/Standardisierung wünschenswert?
Welche Maßnahmen schlagen Rezensent*innen vor, um neue Spielräume zu eröffnen und verschiedene Interpretationsmöglichkeiten offen zu halten?
Ergebnisse und Ausblick
In der Auswertung der 35 Rezensionen zeigt sich unter anderem, dass Gutachter*innen es zunehmend schätzen, wenn den Nutzer*innen digitaler Editionen möglichst viele unterschiedliche Perspektiven auf die jeweiligen Daten ermöglicht werden. So wird etwa die „Möglichkeit verschiedener Präsentationsmodi“ als positiv hervorgehoben, wohingegen das Fehlen von Faksimiles als Defizit gewertet wird. Der als ideal angenommene Zugang zu den Daten beinhaltet zudem in fast allen Rezensionen die Downloadbarkeit der XML/TEI-Dateien.
Diese Beobachtungen sprechen dafür, dass großes Interesse daran besteht, Daten nachzunutzen und damit zu eigenen Einschätzungen und Interpretationen zu gelangen – ein potentieller Mehrwert, welcher teils auch deutlich formuliert wird: „Die Zurverfügungstellung der Transkription in XML oder einem anderen für die Nachnutzung der Daten geeigneten Format wäre wünschenswert und wertvoll.“ Gegeben ist diese Option im überwiegenden Teil bislang rezensierter Editionsprojekte jedoch nicht, wie die von RIDE selbst generierten Auswertungen offenbaren (vgl. Chart Nr. 20 und Nr. 23 unter https://ride.i-d-e.de/data/charts/). Somit ergibt sich hier ein erster möglicher Ansatzpunkt für die Optimierung zukünftiger digitale Editionen.
Genauso zeigt sich aber auch im Bereich der Dokumentation digitaler Editionsprojekte noch Verbesserungsbedarf. Schließlich machen Rezensent*innen mehrfach auf das Fehlen editorischer Richtlinien aufmerksam und thematisieren – wie in folgendem Fall – die fehlende Transparenz und „Selbstverortung“ (Schnöpf 2013: 72) der ihnen gegebenen Ressourcen: „I do not doubt that the transcribers and editors had a clear idea of what they were doing, but they have not documented it in the edition and so the user (and the reviewer) can only retrospectively deduce what that idea might have been.”
Zu diesen (und weiteren gefundenen) Kritikpunkten kommt freilich erschwerend hinzu, dass Nutzer*innengruppen mit ihren Forschungspraktiken, Forschungsprozessen und Motivationen sehr heterogen sein können (vgl. Kramer 2016, Hewing/Mandl/Womser-Hacker 2016) und „[k]omplexe digitale Ressourcen [...] auch an die Benutzer höhere Anforderungen [stellen]“ (Sahle 2013: 262). Es gilt hier also, neue Interaktionsmuster zu entwickeln, um die Kluft zwischen Editor*innen und Nutzer*innen zu überbrücken. In diesem Sinne soll der Posterbeitrag durch abschließende Empfehlungen abgerundet werden, wie Nutzer*innen in Zukunft (noch) erfolgreicher an digitale Editionen herangeführt werden könnten.
Bibliographie
Henny, Ulrike (2018): „Reviewing von digitalen Editionen im Kontext der Evaluation digitaler Forschungsergebnisse“, in: Kamzelak, Roland S. / Steyer, Timo (eds.):
Digitale Metamorphose: Digital Humanities und Editionswissenschaft (= Sonderband der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften 2) 10.17175/sb002_006.
Hewing, Ben / Mandl, Thomas / Womser-Hacker, Christa (2016): “Methods for User-Centered Design and Evaluation of Text Analysis Tools in a Digital History Project”, in:
ASIST Annual Meeting Proceedings.
Joining Research and Practice 53: 1–10 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/pra2.2016.14505301078 [letzter Zugriff 30. Dezember 2019].
Kramer, Michael J. (2016):
The Digital Humanities Reader. http://www.michaeljkramer.net/the-digital-humanities-reader/ [letzter Zugriff 30. Dezember 2019].
Sahle, Patrick (2013):
Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1–3: Befunde, Theorie und Methodik (= Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik 7–9). Norderstedt: BoD.
Schnöpf, Markus (2013): „Evaluationskriterien für digitale Editionen und die reale Welt“, in:
HiN - Humboldt im Netz. Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien 27: 69–76.
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Paderborn, Germany
March 2, 2020 - March 6, 2020
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Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.
Series: DHd (7)
Organizers: DHd