Wiener Ballette <Tanz Musik=“mei“ Bild=“jpg“ Text=“tei“ Bewegung=“?“/>

poster / demo / art installation
Authorship
  1. 1. Grund Vera

    SICP – Software Innovation Campus Paderborn, Universität Paderborn

  2. 2. Drewes Henner

    Folkwang Universität der Künste Essen

Work text
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Die Auseinandersetzung mit der ephemeren Kunstform Tanz und insbesondere mit der Aufführungsform Ballett bedeutet zwangsläufig den Umgang mit „Interpretationsspielräumen“. Durch die Mediatisierung von Tanz vor der Möglichkeit von Videoaufzeichnungen als Wort- oder Bilddokumente und selbst bei der Übertragung in Tanznotationen bestehen Leerstellen, die nur durch Ausprobieren oder durch eine experimentierende Herangehensweise ausgefüllt werden können. Interpretation ist daher ein unvermeidlicher Faktor im Umgang mit Tanz, re-staging eine probate Methode der historischen Tanzwissenschaft. Durch moderne Bewegungsästhetik vorgeprägte Körper sind dafür ein zusätzlicher unbewusst interpretierender Faktor.
Für die digitale Annäherung an Bewegung wurde unter Bezugnahme auf frühere Versuche (Schiphorst 1997) und weiter führende Konzepte (Calvert 2005) eine experimentelle Software entwickelt (MovEngine), die die Visualisierung von strukturierten Bewegungsinstruktionen ermöglicht und einen zunächst ‚neutralen Körper‘ bereitstellt (Drewes 2014). Unter Anwendung bewegungsanalytischer Prinzipien von Notationssystemen (Eshkol-Wachman Movement Notation und Kinetographie Laban) löst diese den kontinuierlichen Bewegungsfluss in diskrete Raum, Zeit und Körper beschreibende Elemente auf, und passt sie in eine digitale Kodierung ein. Insbesondere von der Eshkol-Wachman Movement Notation übernimmt sie ein System von simultanen bzw. aufeinander folgenden Bewegungsinstruktionen, welche für jedes beteiligte Gelenk separate kreisförmige Bewegungsverläufe geometrisch definieren (Eshkol / Wachman 1958). Die einzelnen Bewegungsinstruktion lassen sich wiederum in eine bestimmte Anzahl zeitlicher und räumlich-geometrischer Parameter aufsplitten. Die Stärke dieses Ansatzes in Bezug auf die Leerstellen der historischen Überlieferung besteht darin, dass es möglich ist, Elemente in dieser hierarchischen Struktur nicht vollständig zu definieren bzw. für bestimmte Parameter eine gewisse Bandbreite zuzulassen und somit Interpretationsspielräume zu konkretisieren.
Der Umgang mit dem interdisziplinären Ballett wirft neben den zuvor beschriebenen Unsicherheiten durch die Kombination von Tanz und Musik zusätzliche Fragen auf. Zugleich transportiert Musik jedoch auch Informationen für den Tanz wie standardisierte Tanzsätze, tonmalerische Elemente, semantisierte musikalische Modelle, aber auch Stimmungen, die affirmativ oder kontrastierend binäre Entscheidungsmöglichkeiten für die Interpretation anbieten.
Dem Projekt „Vienese Ballet: Encoding Music–Image–Dance“ liegt der Umgang mit den zuvor beschriebenen Leerstellen und Spielräumen zugrunde: Als Anwendungsbeispiel dienen hier Ballette, die in der mittleren Hälfte des 18. Jahrhunderts im Zuge der ‚Französisierung‘ der habsburgischen Kultur als diplomatische Maßnahme an den Wiener Hoftheatern aufgeführt wurden. Aufgrund der politischen Implikation war die Dokumentation der Aufführungen eine notwendige Maßnahme, der eine für das Ballette im 18. Jahrhundert ungewöhnlich dichte Quellenüberlieferung zu verdanken ist.
Zeitungsberichte enthalten szenische Beschreibungen ebenso wie die Theaterchroniken, die der Tänzer und Choreograph Philipp Gumpenhuber von 1758 bis 1763 aufzeichnete. Eine Sammlung von ca. 180 Ballettmusiken erhielt sich im Schwarzenberg Archiv Česky Krumlov; zusätzlich legte der Theaterdirektor Giacomo Durazzo eine Sammlung von Bildern an, die Szenen oder ganze Ballette ‚dokumentieren‘. Die Bildquellen, bei denen es sich um künstlerische Umsetzungen handelt, bieten zwar Informationen über die Ästhetik der Aufführungen, der Tänzer*innenkörper sowie der Bewegungsästhetik, sind jedoch bereits Interpretationen, die ebenso in Bezug auf den Umgang mit dem Raum zum Spielraum werden. In Bezug auf die Ästhetik der Aufführungen, der Tänzer*innenkörper sowie die Bewegungsästhetik bieten sie jedoch Informationen, die aus der Analyse mit Hilfe der MovEngine Software deutlich werden können: Die Animierung einzelner Figuren bzw. Figurengruppen hilft bei der Analyse der kinetischen Struktur der dargestellten Gesten.
Mit dem Projekt wird eine digitale Aufarbeitung und Kombination der überlieferten Materialien aus der Mitte des 18. Jahrhunderts angestrebt, in der die unterschiedlichen Quellen zum Bühnentanz – szenische Beschreibung, Musik, Bild in Verbindung gebracht und in ihrem Verhältnis zueinander analysiert werden können. Zusätzlich soll eine Tanzbibliothek entstehen, in der die in Traktaten von Raoul-Auger Feuillet in großer Detailgenauigkeit in Tanznotation mit Musik überlieferten historischen Tanzformen für die Herleitung zu Analogien zu den Balletten bereitgestellt werden. Die Forscherin Gisela Reber übertrug die Tänze aus der Feuillet-Notation in Kinetographie Laban (Reber 1986 und weiteres Material im Tanzarchiv der Folkwang Universität, Essen). Mit Hilfe von MovEngine kann aus den direkt überlieferten Quellen zum Repertoire und den in Tanznotation festgehaltenen stilistischen Informationen eine Materialsammlung für Gestik und Bewegungsästhetik generiert und eine ‚Tanzbibliothek‘ für historische Tänze angelegt werden.
Ausgehend von den bisherigen Arbeiten an MovEngine soll diese Software im Rahmen des Projekts weiter entwickelt werden, sowie auf dieser Basis ein Codierungsstandard und eine Software für die Verarbeitung von Tanz- und Bewegungsdaten entstehen, die sich für die Kombination mit dem Musikcodierungsstandard MEI eignen. Durch die Edirom-Technologie, die bereits für Musikeditionen die Darstellung unterschiedlicher Quellenarten ermöglicht, können die unterschiedlichen digitalen Übertragungen der Materialien zusammengebracht werden. Ermöglicht werden soll dadurch ein flexibles virtuelles‚ re-enactement, das den digitalen Umgang mit der ephemeren Kunstform Tanz erlaubt, das die Ebenen Bewegung, Musik und Bühne gleichermaßen berücksichtigt, um sich dadurch den „Spielräumen“ anzunähern.

Bibliographie

Brown, Bruce (1991):
Gluck and the French Theatre in Vienna. Oxford: Oxford University Press.

Calvert, Tom / Wilke, Lars / Ryman, Rhonda / Fox, Ilene (2005): „Application of Computers to Dance“, in:
IEEE Computer Graphics and Applications 25, no. 2: 6-12.

Drewes, Henner (2014): „MovEngine – Movement Values Visualized“, in: Jeschke, Claudia / Haitzinger, Nicole (eds.):
Tanz & Archiv Forschungsreisen. Mobile Notate. München: epodium 22-33.

Drewes, Henner (2003):
Transformationen – Bewegung in Notation und digitaler Verarbeitung. Essen: Die Blaue Eule.

Eshkol, Noa / Wachman, Abraham (1958):
Movement Notation. London: Weidenfeld and Nicolson.

Reber, Gisela (1986):
Die Schrittformen und Armführungen nach Le Maître a Danser 1725 von Pierre Rameau übertragen in Kinetographie Laban. Essen: unveröffentlicht.

Schiphorst, Thecla (1997): „Merce Cunningham: Making Dances with the Computer“, in: Vaughan, David (ed.):
Merce Cunningham: Creative Elements in choreography and dance. Amsterdam: Harwood Academic Publishers (Choreography and Dance) 79-97.

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Conference Info

Incomplete

DHd - 2020
"Digital Humanities zwischen Modellierung und Interpretation"

Hosted at Universität Paderborn

Paderborn, Germany

March 2, 2020 - March 6, 2020

130 works by 319 authors indexed

Conference website: https://zenodo.org/record/3666690

Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.

Series: DHd (7)

Organizers: DHd