Media Informatics Group / Lehrstuhl für Medieninformatik - Universität Regensburg (University of Regensburg)
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Einleitung
Die Idee des Distant Reading (Moretti, 2002) ist davon geprägt, durch den Einsatz von Methoden der computergestützten Textanalyse und Textvisualisierung große Mengen an Literatur zu explorieren, um Einsichten zu gewinnen, die mit herkömmlichen Methoden nicht möglich sind. Der Einsatz von Distant Reading wird dabei mittlerweile auch außerhalb der Literaturwissenschaften untersucht wie z.B. in den Religionswissenschaften (Pfahler et al., 2018). Im folgenden Beitrag wird ein Projekt vorgestellt, in dem der Einsatz und Nutzen von Distant Reading in ersten Analysen auf einer größeren Menge deutschsprachiger Songtexte exploriert wird. Ziel des Projekts ist es, mittels Distant Reading Unterschiede in gängigen Genres populärer Musik herauszukristallisieren.
Verwandte Arbeiten
Im Bereich des Text Mining wird die
Analyse von Songtexten vor allem im Kontext von Retrieval- und
Recommender-Aufgaben betrieben. Ziel ist meist die automatische
Klassifikation und Vorhersage verschiedener Kategorien, z.B. dem Genre
(Fell & Sporleder, 2014; De Sousa et al., 2016). Außerhalb dieses
Arbeitsgebiets findet man in Bereichen der Kultur- und
Literaturwissenschaften sowie der Psychologie Studien mit Songtexten
als Untersuchungsgegenstand (Cole, 1971; Kuhn,
1999). Forschungsinteressen umfassen dabei Analysen spezifischen
Musikern
(Beatles, West & Martindale, 1996; Whissel, 1996,
Bob Dylan, Whissel, 2008; Körner, 2012), Epochen (Pettijohn & Sacco, 2009), Emotionen (Napier & Shamir, 2018) oder Erfolg (Riedemann, 2012). Im Bereich der computergestützten Korpus-Analyse findet man vereinzelt Projekte für den englischsprachigen Bereich. Dabei werden beispielsweise quantitative und qualitative Methoden verknüpft, um Stil und historische Eigenheiten zu analysieren (Werner, 2012), Annotations- und Akquisemöglichkeiten von Korpora exploriert (Kreyer & Mukherjee, 2009) oder N-Gramme untersucht (Nishina, 2017). Die Analyse von deutschsprachigen Texten ist jedoch bislang selten und findet vor allem im Bereich von regionalem Rap statt (Hess-Lüttich, 2009) sowie eher qualitativ und hermeneutisch (Stiegler, 2009).
Korpus-Erstellung
Als Plattform für die Akquise der Songtexte wurde
LyricWiki
gewählt. Ausgehend von aktuellen Umfragen zu den populärsten Genres in Deutschland werden die folgenden vier Genres betrachtet:
Pop, Rock, Schlager und
Rap/Hip Hop. Für die Auswahl der Songs wurden manuell durch Analyse der deutschen Charts seit den 60er Jahren eine angemessene Anzahl der wichtigsten deutschsprachigen Genre-Vertreter aufgestellt. Dieser Schritt ist (auch) subjektiv geprägt, der Fokus auf berühmte und „typische“ Vertreter der einzelnen Genres erlaubt jedoch trotzdem erste Analysen. Kritisch sei jedoch anzumerken, dass die Grenzen der Genres für einzelne Interpreten und Songs nicht immer eindeutig sind, insbesondere was Rock, Pop und Schlager betrifft. Wir haben versucht, für das vorliegende Korpus eine Auswahl mit möglichst eindeutigen Zuordnungen zu treffen.
Für jeden gewählten Interpreten wurden über ein Skript alle Songtexte mit Metadaten von LyricWiki akquiriert. Die Akquise des Korpus wurde mittels eines frei verfügbaren angepassten ruby-Skripts durchgeführt.
Abbildung 1 illustriert Eckdaten zum Gesamtkorpus und den Künstlern. In der Spalte „Bekannte Vertreter“ werden einige Künstler beispielhaft angegeben.
Abbildung 1: Korpus-Zusammensetzung
Abbildung 2 zeigt die Songverteilung im zeitlichen Verlauf und Genre-Kontext auf.
Abbildung 2: Genre und zeitlicher Verlauf des Korpus
Im Bereich des Preprocessing wurden Stoppwörter entfernt und alle Wörter zu Normalisierungszwecken in Kleinschreibung gebracht.
Methoden und Ergebnisse
Für die allgemeine Textanalyse und das Topic Modeling wurden alle Analysen mittels
R und unterschiedlichen Bibliotheken wie dem
NLP
- und
topicmodels-package durchgeführt. Die Sentiment Analysis wurde mit
Python und
SentiWS (Remus et al., 2010) implementiert.
Allgemeine Textanalyse
Die Repetition von besonders bedeutenden Wörtern ist ein gängiges Stilmittel bei der Gestaltung von Songtexten. Aus diesem Grund betrachten wir die Analyse der häufigsten Wörter von Songtexten als besonders aufschlussreich. Die folgenden Bilder (Abbildung 3-6) illustrieren die 10 häufigsten Wörter (Most Frequently Used Words; MFWs) der einzelnen Genres.
Abbildung 3: MFWs für Pop
Abbildung 4: MFWs für Rap
Abbildung 5: MFWs für Rock
Abbildung 6: MFWs für Schlager
Man erkennt, dass es drei Wörter gibt, die in allen vier Genres gleichmäßig stark vertreten sind: „Welt“, „Leben“ und „Zeit“. Diese Konzepte sind demnach konsistenter Inhalt deutschsprachiger Liedtexte unabhängig vom Genre. Die größte Differenzierung zeigen die Genres Rap, in dem Terme der Umgangs- und Jugendsprache enthalten sind, aber auch thematische Schwerpunkte deutlich werden („Geld“) sowie das Genre Schlager, das vor allem von emotionalen Termen wie „Liebe“, „Herz“ oder „Glück“ dominiert wird.
Sentiment Analysis
Sentiment Analysis ist die Methodik zur computergestützten Analyse von Sentiments in Texten, also ob und in welchem Ausmaß Wörter eines Textes eher positiv oder negativ konnotiert ist (Liu, 2016). In den Digital Humanities werden häufig lexikonbasierte Methoden zur Bestimmung von Sentiment-Werten eingesetzt (Mohammad, 2011; Nalisnick & Baird, 2013). Dabei wird durch Summenbildung von Sentiment-Werten von Wörtern die Gesamtpolarität einer Texteinheit ermittelt. Wir verwenden dabei das etablierte Sentiment-Lexikon
SentiWS (Remus et al., 2010). Abbildung 7 illustriert einige Ergebnisse:
Abbildung 7: Ergebnisse – Sentiment Analysis
Man erkennt, dass für alle 4 Genres insbesondere Varianten von Liebe einen erheblichen Beitrag zur positivien Polarität leisten. Rap grenzt sich deutlich mit für das Genre typischen Themen ab, ausgedrückt durch Wörter wie „reich“ und mit Slang („hart“, „alter“). Alle Genres weisen insgesamt auf eine negative Polarität hin. Entgegen der naiven Intuition sind die Genres „Rap“ und „Rock“ dabei noch am positivsten (gemessen an den normalisierten Werten) bewertet. Erste Analysen machen jedoch auch Probleme der lexikonbasierten Sentiment-Analyse deutlich. Die Wörter „wein“ (weinen) und „feuer“ (das Feuer) sind in SentiWS als negativ markiert, haben aber in unseren Texten oft eher positive Konnotationen. Bei dem Wort „wein“ dann, wenn dieses durch die Normalisierung von „der Wein“ hergeleitet wird. In zukünftigen Arbeiten wollen wir mit einem domänenspezifischen Lexikon arbeiten, das für die jeweilige Anwendungsdomäne optimiert ist.
Topic Modeling
Topic Modeling ist eine Methode, um den Anteil verschiedener Themen in Dokumenten zu analysieren. Ein Thema ist dabei ein selbst definiertes Label für eine Liste von Wörtern, die besonders häufig zusammen auftreten. Als Algorithmus wurde Latent Dirichlet Allocation (LDA) gewählt (Blei et al., 2003). Das Topic Modeling wurde separat für die einzelnen Genres durchgeführt, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu untersuchen. Wir sind momentan noch am Anfang der Analyse der einzelnen Topics, aber neben Differenzen werden auch Topics gefunden, die ähnliche Konzepte widerspiegeln. Folgende Visualisierungen geben die Wortlisten wider, die wir jeweils als das Topic „Liebe“ in den einzelnen Genres benannt haben. Die Wortgröße gibt die Häufigkeit des Wortes im jeweiligen Sub-Korpus wider (Abbildung 8).
Abbildung 8: Wortlisten für das Topic „Liebe“
Auffällig ist, dass insbesondere bei Rap familiäre Begriffe wie „Mama“, „Vater“ oder auch „Bruder“ Bestandteil des Topics sind, was traditionellerweise ein häufiger Schwerpunkt im Rap-Genre ist.
Ausblick
In unseren zukünftigen Arbeiten wollen wir insbesondere das Korpus systematisch vergrößern und verbessern. Momentane Probleme sind z.B. die Ungleichverteilung in der Menge bezüglich der Genres aber auch ein Fokus auf eher aktuelle Künstler. Wenngleich wir schon erste Eigenheiten der Genres feststellen konnten, wollen wir Methoden wie Sentiment Analysis und Topic Modeling noch weiter explorieren, indem wir beispielsweise die Varianz der Sentiments untersuchen. Des Weiteren wollen wir unsere Arbeit aber auch auf andere Textanalyse-Möglichkeiten wie Kollokationsprofile von Keywords, Named Entity Recognition und Stilometrie ausweiten. Durch die Zusammenarbeit mit Musik- und Literaturwissenschaftlern wollen wir in Zukunft auch explorieren, welche weiteren Forschungsfragen mit Hilfe größerer Korpora und Distant Reading-Methoden beantwortet werden können.
https://lyrics.fandom.com/wiki/LyricWiki
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/171224/umfrage/beliebteste-musikrichtungen/
Das Korpus kann auf Anfrage per Mail erhalten werden.
https://gist.github.com/siavashs/3556469
https://cran.r-project.org/web/packages/NLP/index.html
https://cran.r-project.org/web/packages/topicmodels/index.html
Bibliographie
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Journal of machine Learning research 3: 993-1022.
Cole, Richard R. (1971): "Top songs in the sixties: A content analysis of popular lyrics", in:
American Behavioral Scientist 14 (3): 389-400.
De Sousa, Jefferson Martins / Eanes Torres, Pereira / Luciana Ribeiro, Veloso (2016): "A robust music genre classification approach for global and regional music datasets evaluation", in:
IEEE International Conference on Digital Signal Processing (DSP).
Fell, Michael / Caroline Sporleder (2014): "Lyrics-based analysis and classification of music", in:
Proceedings of COLING 2014, the 25th International Conference on Computational Linguistics.
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Ars Semeiotica 32.
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Incomplete
Hosted at Universität Paderborn
Paderborn, Germany
March 2, 2020 - March 6, 2020
130 works by 319 authors indexed
Conference website: https://zenodo.org/record/3666690
Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.
Series: DHd (7)
Organizers: DHd