Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Forschung im Bereich der Digital Humanities ist qua Selbstverständnis von interdisziplinären Ansätzen geprägt. Nur durch die Kombination von vielfältigen fachwissenschaftlichen Expertisen kann es gelingen, Erkenntnisse zu gewinnen, welche bei Beschränkung auf nur eine disziplinäre Herangehensweise und Methode nicht - oder nicht im gleichen Maße - möglich gewesen wäre. So jedenfalls die Verheißung der digitalen Geisteswissenschaften. Ob die Potenziale digitaler Forschungsansätze und Methoden in den DH bereits vollends verwirklicht werden, vermag dieser Beitrag nicht zu bewerten. Dass digitale Technologien jedoch auch außerhalb der Hochschulen und Forschungseinrichtungen fraglos den Raum des Möglichen entscheidend erweitern, ist das Grundverständnis, welches für das deutschlandweite Verbundprojekt ‘museum4punkt0’ richtungsweisend ist. Digitale Technologien eröffnen Museen neue Formate der Interaktion, Interpretation und Kommunikation. Im Vergleich zu objektbezogener Forschung im Museum, die durch den Einsatz digitaler Erschließungssysteme, der Nutzung und Publikation von digitalen Reproduktionen und der Integration von digital gestützten Untersuchungsmethoden eine methodische Erweiterung erfährt, wird die Entwicklung digitaler Kommunikations- und Vermittlungsformate bisher eher selten als transdisziplinärer Forschungsauftrag im Museum verstanden (Glinka 2018b).
Experimentierlabor für digitale Anwendungen im Museum
Mit museum4punkt0 wurde 2017 erstmals in Deutschland ein museales Forschungsprojekt initiiert, welches Kulturinstitutionen verschiedener Sparten, Größen und institutionellen Strukturen mit dem Ziel der Entwicklung und Beforschung digitaler Anwendungen in einem Verbund vereint.1 Zentrales Merkmal des Verbundes ist die Vernetzung und gegenseitige Unterstützung der beteiligten Institutionen bei der Entwicklung und Evaluation von digitalen Vermittlungs- und Kommunikationsangeboten (Glinka 2018a). Untersucht wird, wie neueste digitale Technologien effektiv für die Aufgaben von Museen, insbesondere in der Wissensvermittlung, nutzbar gemacht werden können. In modular strukturierten Teilprojekten entstehen digitale Kommunikations- und Vermittlungsformate mit Fokus auf Virtual- und Augmented Reality, 3D-Digitalisierung, Gamification sowie weiteren Formen der digitalen Kommunikation.2
Die Teilprojekte fokussieren die museale Praxis der jeweiligen Institutionen und entwickeln themenspezifische Angebote, zugeschnitten auf ihre Publikumsgruppen und Vermittlungsziele. Dabei greifen die Fallstudien auf Sammlungsobjekte und das inhärente Wissen der jeweiligen Museen zurück und erschaffen neue Arten der digitalen Narration, um Besucher*innen und Nutzer*innen einen multimedialen, -modalen und -perspektivischen Zugang zu Museumsbeständen zu ermöglichen. Die narrativen Formate nutzen Spezifika einzelner Objekte und Wissensbestände, um komplexe Inhalte für unterschiedliche Besucher- und Nutzergruppen verständlich zu vermitteln (Navarro/Fuhrmann 2018). Hier fließen kreativ-künstlerisches Design und wissenschaftlich-kuratorische Konzeption ineinander, die von museumspädagogischen Fragestellungen geleitet werden. Begleitend werden zudem Ansätze der Nutzer- und Rezeptionsforschung entwickelt, welche methodische Ähnlichkeiten zwischen klassischer Besucherforschung und Ansätzen des human-centred Design und Forschung aus dem Bereich der Mensch-Maschine Interaktion (HCI) zum Ausgangspunkt nimmt, um diese im Kontext der Forschung im Museum in einen Dialog zu bringen (Bauer 2018).
Von den spezifischen Fallstudien losgelöst, werden forschungsgetriebene Ansätze wie u. a. webbasierte Methoden der Wissensvermittlung, Strategien der digitalen Kommunikation sowie Potenziale der Informationsvernetzung und Wissensgenerierung in dem Teilprojekt ‘V - Virtueller Raum’ erprobt. Hier werden zusätzliche Themen und Ansätze, welche bisher nicht von den museal-fokussierten Teilprojekten abgedeckt werden, teilweise in Kooperation mit assoziierten Partnern, bearbeitet.
Neben weiteren Formaten entsteht im Teilprojekt V ein gemeinsamer Objektkatalog, welcher als öffentlich zugängliche Webanwendung primär die Funktion hat, die im Verbund neu entstehenden Digitalisate und digitalen Produkte zu aggregieren, zu vernetzen und mit Wissen anzureichern. Darüber hinaus wird ein weiteres Forschungsinteresse verfolgt, welches im Fokus des vorliegenden Beitrags steht: Zentral beschäftigt uns die Frage, wie heterogene (digitale) Objekttypen, -formate und Sammlungsbestände in einer virtuellen Umgebung aggregiert, vernetzt und für weitere Nutzungskontexte, z.B. der Wissensvermittlung und der musealen Forschung, eingesetzt werden können. Dass dies mit Blick auf die Vielzahl an Technologien und Medien, welche im Verbundprojekt zum Einsatz kommen, grundlegende Fragen der Wissensrepräsentation aufwirft, möchten wir im Folgenden ausführen.
Eine gemeinsame Wissensbasis für übergreifende Fragestellungen
Die Heterogenität der beteiligten Museen schlägt sich auch in der Vielfalt der Objektarten nieder: Von Lebendtieren über Oral-History Interviews, filmischen Repräsentationen von Fastnachtsbräuchen bis hin zu Gemälden und technischen Geräten ist die ganze Bandbreite musealer Sammlungs- und Forschungsgegenstände vertreten. Diese Vielfalt setzt sich auch in den generierten digitalen Formaten fort: diese reichen von Virtual und Augmented Reality über Chatbots, webbasierte Interaktionsformate und Citizen Science Anwendungen bis hin zu Browsergames. Diese Diversität soll bei der Modellierung des Objektkatalogs berücksichtigt werden und auch erhalten bleiben. Aus informationswissenschaftlicher Sicht stellen sich Fragen zur Konstruktion eines solchen Modells: Wie kann anhand heterogener Objekttypen eine gemeinsame Wissensbasis für transdisziplinäre Fragestellungen modelliert werden? Wie können disziplinspezifische Beschreibungskategorien beibehalten werden und wie müssen diese aufbereitet sein, um für übergreifende museale Fragestellungen, z. B. der Museumspädagogik oder der Rezeptions- und Medienforschung, nutzbar zu sein? Wie können Vermittlungsstrategien zu einer direkten Generierung neuer Erkenntnisse führen und wie kann multiperspektivisches Wissen in den Objektkatalog eingebunden werden?
Potenziale musealer Objektdokumentation für erweiterte Forschungszugriffe
Der Internationale Museumsrat ICOM definiert die musealen Kernaufgaben als Sammeln, Bewahren und Dokumentieren, Forschen und Vermitteln (ICOM 2010: 29). Dabei spiele das Sammlungsmanagement für die Erfüllung der Mission der Museen eine zentrale Rolle, so Wallace:
“Collections management must be understood as a means to an end — not the end in itself. It exists as a process to enable museums to fulfil their broader social remit by maximising the use of collections, giving collections and users a voice and reflecting diverse experiences.” (Wallace 2001: 83)
Allerdings ist in Bezug auf jene Systeme, die im Sammlungsmanagement genutzt werden, festzustellen, dass kaum eine Verschränkung mit den weiter gefassten musealen Aufgaben stattfindet. Die gängige Museumspraxis zeigt, dass Sammlungs- und Objektdokumentationssysteme vor allem dem Nachweis des Museumsbestandes dienen (Srinivasan et al. 2009: 265). Konventionelle Sammlungsmanagementsysteme bieten primär Zugriffe zur Objektverwaltung, vorrangig für Restaurierungs- und Ausstellungsvorhaben (Cameron 2003: 331). Forscher*innen im Museum greifen für Recherchen auf die Bestandsdokumentation zu, um beispielsweise Informationen zum Zustand des Objekts oder seines aktuellen Verbleibs zu erhalten. Zur Durchführung von objekt- und sammlungsbasierter Forschung werden zusätzliche Materialien wie Archivalien und Sekundärliteratur herangezogen. Das durch die Forscher*innen generierte Wissen findet aber meist keinen Rückfluss in die Sammlungsdokumentation und verbleibt isoliert in Ausstellungskatalogen, fachwissenschaftlichen Beiträgen und anderen Publikationsformaten. Dies gilt ebenfalls für in Vermittlungsangeboten generierte Objektkontexte: Zwar wird die Verwendung von Musealien in Ausstellungen dokumentiert, jedoch finden begleitende Texte, Tonspuren aus Audioguides oder andere multimediale Formate meist keinen Weg in die Dokumentationssysteme. Sie entziehen sich somit zukünftigen Zugriffen und sind für die Erstellung neuer Angebote schwer nachnutzbar.
Weitaus komplexer gestaltet es sich bei Formaten wie Virtual Reality Anwendungen: Digitalisate, 3D-Scans, Videosequenzen und Kontextinformationen werden miteinander kombiniert, arrangiert und inszeniert. Konventionelle Museumsdokumentationssysteme wären bei der Katalogisierung komplexer VR-Anwendungen vor große Hürden gestellt, da sie auf die Erfassung grundlegender Metadaten traditioneller Musealien ausgerichtet sind (Srinivasan et al. 2009:268, Cameron / Robinson 2007:166).
Diese Beispiele zeigen, wie unzulänglich die bisherigen Systeme für übergreifende Kontexte sind. Cameron und Robinson fordern dazu auf, traditionelle Dokumentationsformen zu überdenken:
“The challenge is to revisit the current epistemological foundations on which documentation is formulated and to consider how diverse cultural and theoretical ideas, for example polysemic interpretive models (ones that recognize the inherent pluralistic meanings of objects), might revise documentation, taking account of [...] technological potentialities.” (Cameron / Robinson 2007:169)
Eine Möglichkeit, konventionelle Katalogisierungsmechnismen zu erweitern, besteht in der Reintegration extern erzeugter Wissensbestände und Kontexte in die museale Bestandsdokumentation. Mit der Entwicklung des Objektkatalogs im Rahmen von museum4punkt0 wird erprobt, wie Museumsdokumentationssysteme mit Forschungs- und Vermittlungswerkzeugen verschränkt werden können, um extern generierte Informationsressourcen und Wissensbestände für eine erweiterte Objektdokumentation nachzunutzen. Cameron und Robinson fragen “what considerations are important in reassessing traditional museum documentation models in the context of Web-based digital access?” (2007:166). Dazu evaluieren wir, welche Schnittstellen ein solcher webbasierter Objektkatalog benötigt und welche Mapping-Szenarios dafür entwickelt werden müssen. Aus Sicht der Wissensrepräsentation untersuchen wir, wie Daten modelliert und strukturiert sein müssen, damit sie zwischen verschiedenen Anwendungen semantisch verlustfrei austauschbar sind.
Mit dem Objektkatalog als Schnittstelle zwischen Forschungsmethoden und -werkzeugen der digitalen Geisteswissenschaften und den Daten des kulturellen Erbes untersuchen wir, wie museale Datenbestände aufbereitet sein müssen, um als Forschungsdaten für (inter-)disziplinäre Fragestellungen nutzbar zu sein. Weiterhin erproben wir, wie bereits entwickelte Methoden und Werkzeuge der digitalen Geisteswissenschaften z. B. Text- und Bildannotationen sowie algorithmische Bilderkennungsverfahren im Kontext musealer Fragestellungen eingesetzt werden können.
Ausblick
Auf Grundlage der vorliegenden Konzeption des Objektkatalogs haben wir technische Bedarfe an ein nachnutzbares System abgeleitet. Hierbei werden insbesondere graphbasierte Technologien fokussiert: Anhand des Konzepts zeichnet sich ab, dass die zu schaffende Wissensbasis einen ontologisch-vernetzten Charakter aufweisen wird. Deren Modellierung, Repräsentation und Abfrage lässt sich am besten durch eine Graphstruktur realisieren.
Aktuell analysieren wir konkretisierte Anforderungen an das Datenmodell und ermitteln gemeinsam mit den Verbundpartnern Schemata für die Beschreibung der digitalen Objekte und Anwendungen. Im Zuge dessen entwickeln wir ein Metadatenschema, das erstmals auch komplexe digitale Formate, wie z.B. VR-Anwendungen, als Teil eines im musealen Kontext entstehenden Objektkatalogs erfassbar macht. Die Schemata bilden die Grundlage für die konzeptionelle Modellierung der gemeinsamen Wissensbasis des Objektkatalogs, die dann in einem maschinenlesbaren Datenmodell umgesetzt werden, welches in das gewählte System implementiert wird. Im Sinne des iterativen Vorgehens, welches die Arbeit des Verbundprojektes prägt, wird auch der Objektkatalog schrittweise entwickelt, evaluiert und angepasst. Dazu zählen testmäßige Ingests von Objektdaten sowie auch deren Export in andere Systeme, um die Anbindungsfähigkeit des Katalogs an digitale Forschungswerkzeuge zu erproben. Die dabei entstehenden Mapping-Szenarios, entwickelte oder integrierte Schnittstellen, werden dokumentiert und für die breite Nachnutzung aufbereitet. Alle Ergebnisse sowie auch der Objektkatalog selbst, werden mit offenen Lizenzen versehen und frei zugänglich publiziert.
Beteiligt sind die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ihre Staatlichen Museen zu Berlin, die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven, das Deutsche Museum, die Fastnachtsmuseen Schloss Langenstein und Narrenschopf Bad Dürrheim mit weiteren Museen der schwäbisch-alemannischen Fastnacht und das Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz. museum4punkt0 wird gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.
Für eine Übersicht über die Themen und Inhalte der Teilprojekte siehe http://museum4punkt0.de/teilprojekte
Bibliographie
Bauer, Nadja (2018):
Audiences first, digital second,
in: museum4punkt0 Blog August 2018
http://www.museum4punkt0.de/blogpost/audiences_first_digital_second/
[letzter Zugriff: 12.10.2018].
Cameron, Fiona (2003):
Digital Futures I: Museum Collections, Digital Technologies, and the Cultural Construction of Knowledge,
in: Curator: the Museum Journal 46 (3) 325–40.
Cameron, Fiona / Robinson, Helena (2007):
Digital Knowledgescapes: Cultural, Theoretical, Practical, and Usage Issues Facing Museum Collection Databases in a Digital Epoch,
in:
Cameron, Fiona / Kenderdine, Sarah (eds.):
Theorizing Digital Cultural Heritage: A Critical Discourse. MIT Press 165–191.
Glinka, Katrin (2018a):
Ein Verbund ist mehr als die Summe seiner Teilprojekte,
in: museum4punkt0 Blog Juli 2018
http://www.museum4punkt0.de/blogpost/ein-verbund-ist-mehr-als-die-summe-seiner-teilprojekte/
[letzter Zugriff: 12.10.2018].
Glinka, Katrin (2018b):
The Process Is Part of the Solution: Insights from the German Collaborative Project museum4punkt0,
in: Museum International, Volume 70, Special Issue: Museums in a Digital World. International Council of Museums (ICOM) and Blackwell Publishing 90–103 10.1111/muse.12195.
ICOM - Internationaler Museumsrat (2010):
Ethische Richtlinien für Museen von ICOM. ICOM Deutschland (eds.).
Navarro, Cristina / Fuhrmann, Dietmar (2018):
Ideen auf dem multiperspektivischen Prüfstein: Ein fruchtbarer Workshop,
in: museum4punkt0 Blog Juli 2018
http://www.museum4punkt0.de/blogpost/ideen-auf-dem-multiperspektivischen-pruefstein-ein-fruchtbarer-workshop/
[letzter Zugriff: 12.10.2018].
Srinivasan, Ramesh / Boast, Robin / Furner, Jonathan / Becvar, Katherine M. (2009):
Digital Museums and Diverse Cultural Knowledges: Moving Past the Traditional Catalog,
in: The Information Society 25:4 265–278 10.1080/01972240903028714.
Wallace, Amanda (2001):
Collections Management and Inclusion,
in:
Dodd, J. / Sandell, R.:
Including Museums: Perspectives on Museums, Galleries and Social Inclusion.
Leicester: University of Leicester, Department of Museum Studies 80–83.
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March 25, 2019 - March 29, 2019
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Conference website: https://dhd2019.org/
Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.
Series: DHd (6)
Organizers: DHd