Georg-August-Universität Göttingen (University of Gottingen)
Wissenschaftliches Publizieren: Knowledge Design wird im Mediendesign sichtbar
Vermittlung von Wissen ist immer an den Gebrauch von Medien gebunden. Dabei haben selbige stets Einfluss auf die Semantik der Botschaften. Gerade im wissenschaftlichen Kontext gilt es, diese Wirkung der
Medienästhetik (zum Begriff s. Schnell 2000, 2001) beim Gestalten von Publikationen zu beachten und reflektiert einzusetzen. Hier gilt schließlich Klaus Krippendorffs Leitsatz: „Design is making sense of things” (Krippendorff 2006: xiii).
So benutzen Geisteswissenschaftler*innen sinnvollerweise traditionell typografische Publikationsformen. Immerhin ermöglichen tendenziell linear gestaltete Narrative eine präzise Vermittlung logischer Argumentationsverläufe. Diese werden isomorph im Textfluss symbolisch repräsentiert und können von Leser*innen eng nachvollzogen werden. Die textsprachliche Modalität macht diese direkte Vermittlung möglich.
Hypertext erweitert den Möglichkeitsspielraum, Wissen zu medialisieren
Wenn jedoch komplexere, pluralistisch angelegte Zusammenhänge vermittelt werden sollen, leistet
Hypertext als ein unlineares Medium eindeutig mehr: Gleichzeitigkeiten, Verflechtungen, Perspektivenpluralismus oder Anschlussfähigkeit an weitere Methoden sind insbesondere zu nennen. Sie können mit Hypertext auf eine explizite Weise vermittelt werden, wie es mit der Typografie nicht möglich ist. Dies ist die Kernaussage meines Promotionsprojektes, das ich mit dem präsentierten Poster vorstelle. Das Projekt ist als
medientheoretischer Beitrag zur Grundlagenforschung des E-Publishing gedacht.
Dabei liegt der Fokus auf der Geschichtswissenschaft, da ich Strategien und Ziele der Wissenserzeugung innerhalb meiner eigenen Disziplin reflektiere und davon abhebend frage, welche mediale Vermittlungsform sich im Einzelfall als adäquat erweist. Diese grundlegende Blickrichtung motiviert den Titel „Medialization follows function!“1. Weil in anderen Disziplinen ganz ähnliche Strategien und Ziele der argumentativ-logischen Wissensgestaltung und ‑vermittlung bestehen, soll das präsentierte Poster auch zu einem Ausblick über die Geschichtswissenschaft hinaus anregen.
In der historischen Metatheorie wurden nicht nur die textuell-narrativen Bedingungen der Repräsentation von Geschichte bereits besprochen (s. einführend Crivellari et al. 2004; Haas 2004; Rüsen 2013: 191-220; Stopka 2018). Darüber hinaus wurden etwa auch Visualität als produktive Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten (v.a. Haas 2006; Staley 2014) sowie Hypertext als Medium zur pluralistischen Darstellung von Geschichte(n) (v.a. Krameritsch 2007, 2009) ins Spiel gebracht. Krameritschs Beiträge stellen essenzielle Grundlagenarbeiten dar, an der sich mein Dissertationsprojekt methodisch und inhaltlich stark orientiert. Anders als Krameritsch geht es mir jedoch weniger um kollaborative Praxen der Wissenserzeugung in der Postmoderne oder um die Abbildung einer geschichtswissenschaftlichen Diskurs- und Wissenslandschaft mithilfe von netzwerkartigen Hypertexten. Vielmehr untersuche ich, wie einzelne Wissensangebote für sich hypertextuell publiziert werden können. Wo sich Krameritsch doch hierauf bezieht, sind es wiederum netzwerkartige, von Benutzer*innen relativ frei zu navigierende Hypertexte, für die er als innovative Vermittlungsformen votiert. Auf der Basis meiner theoretischen Reflexionen gelange ich hingegen zu visualisierten,
multilinear gestalteten Hypertexten als vielversprechendste Varianten. Sie lösen m.E. deutlich stärker die historiografische Kernaufgabe ein, Geschichte(n) als (pluralistische) Zusammenhänge narrativ strukturiert zu vermitteln.
Theoretische Fundierung
Den Beginn macht eine epistemologische Grundlegung, die von einem non-dualistischen konstruktivistischen Wissensbegriff (vgl. zusammenfassend Weber 2010: 183-184) ausgeht. Dieses Wissensverständnis verlangt, in Publikationen stets Material und Verfahren zu explizieren, mit denen konstruiert wird; nur so werden die Wissensprodukte epistemisch überhaupt nachvollziehbar (vgl. Ceccato nach Zitterbarth 1991: 77). Im Kern geht es dabei natürlich nicht um Auflistungen parzellierter Einzelinformationen, sondern um das interpretierende, logisch-argumentative Herausstellen Sinn-voller Beziehungen zwischen Informationen.
Sinnzusammenhänge mit ihren
Kohärenzstrukturen stellen so die eigentlichen Wissensangebote (nicht nur) der Historiografie dar (vgl. Haas 2004: 233). Weil das Knowledge Design beim Publizieren symbolisch in ein Mediendesign überführt wird, folgen in der Dissertation medientheoretische Reflexionen, die schwerpunktmäßig die besondere Eignung, aber auch Grenzen von Hypertext für die Repräsentation explizit von Zusammenhängen (vgl. Storrer 2000, 2004; Winko 2005, 2008) adressieren. Insgesamt operationalisiere ich transdisziplinär Forschungsergebnisse v.a. aus der Literaturwissenschaft, den Medienwissenschaften sowie der Informatik. Die Multimodalitätsforschung (anschließend an Kress / van Leeuwen 2001) wird insbesondere in bild-linguistischer Prägung einbezogen. Texte, Bilder und Text-Bild-Kombinationen lassen sich daran ansetzend als Komplexe aus verknüpften Propositionen fassen (s. zusammenfassend Große 2011: 118-122). Narrative Texte geben die Propositionen semantisch explizit und hauptsächlich monosequenziert an, was medienästhetisch zu einer entsprechend sukzessiven Rezeption (z.B. von Argumentationslinien) führt. Sämtliche Zusammenhänge werden jedoch erst am Ende der Lektüre oder bei hoher Komplexität doch lediglich partiell erkennbar. Dementgegen können Bilder pluralistisch verknüpfte Propositionen simultan darstellen, wobei die Zusammenhänge semantisch unterdeterminiert bleiben. Sie werden allerdings ganzheitlich und nicht sukzessive wahrgenommen (vgl. Stöckl 2011: 48-49). Beide Modalitäten bieten gewissermaßen Vor‑ und Nachteile für die Wissensvermittlung.
Multimodaler Hypertext kombiniert konstruktiv verschiedene Medienästhetiken
Genau hier erweist sich die multimodale Kombination aus
textueller Darstellung in Knoten und Kanten mit einem
Mapping der Gesamtstruktur eines Hypertextes als vielversprechend. Logische Zusammenhänge werden nämlich über Knoten und Kanten hinweg als narrative Pfade repräsentiert – mehrfach nebeneinander sowie verknüpft, daher multilinear. Gleichzeitig wird ein ikonischer Überblick über die gesamte Kohärenzstruktur gegeben. Die Nachteile der einen Modalität werden weitreichend durch die Vorteile der anderen kompensiert, was besonders relevant ist, wenn Zusammenhänge aufgrund der in ihnen angelegten Pluralität kaum linear darzustellen sind. Auch die Einbindung von Video‑ oder Bildelementen erweitert den medienästhetischen Gestaltungsspielraum. Wird das Mapping im User Interface als interaktives navigatorisches Mittel genutzt, können Knoten und Kanten vom visualisierten Kohärenzgerüst ausgehend direkt angesteuert werden. Ein derartiges Prinzip haben E-Publishing-Tools wie
Scalar (The Alliance for Networking Visual Culture: https://scalar.me/anvc/scalar/) längst umgesetzt, weswegen ich sie im Promotionsprojekt evaluativ heranziehe.
Als eine Hauptaussage des Projektes kann gelten, dass derlei Hypertexte mitnichten allein medienpädagogisch bedeutsam sind, sondern auch eine genuin epistemische Relevanz besitzen. Schließlich verrät das multimodale Mediendesign direkt etwas über die Konstruktionsweisen und ‑bedingungen von komplexen, pluralistischen Wissensangeboten. In dieser Hinsicht möchte ich mit dem Promotionsprojekt einen theoretischen Beitrag leisten, um ein reflektiertes E-Publishing sowie die (Weiter‑)Entwicklung von E-Publishing-Tools zu unterstützen.
Er ist an den architektonischen Gestaltungsgrundsatz „Form follows function“ angelehnt, der von Louis H. Sullivan berühmt gemacht wurde (Sullivan 1896).
Bibliographie
The Alliance for Networking Visual Culture:
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March 25, 2019 - March 29, 2019
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Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.
Series: DHd (6)
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