MeuchelmörderInnen, KindsmörderInnen, DiebInnen und die dazugehörigen Tatbestände: Erstellung eines Thesaurus für das österreichische Strafrecht des 18. Jahrhunderts zur Erschließung einer Flugblattsammlung

poster / demo / art installation
Authorship
  1. 1. Tanja Wissik

    OEAW Österreichische Akademie der Wissenschaften / Austrian Academy of Sciences

  2. 2. Claudia Resch

    OEAW Österreichische Akademie der Wissenschaften / Austrian Academy of Sciences

Work text
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In diesem Posterbeitrag beschreiben wir die Erstellung eines Thesaurus für das österreichische Strafrecht des 18. Jahrhunderts und gehen auf die damit verbundenen Herausforderungen ein, sowohl seitens des Themengebietes aber auch seitens der Quellen.
Als Quellen dienen kaum erforschte Flugblätter zur Bekanntmachung von Hinrichtungen im 18. Jahrhundert (vgl. Ammerer/Adomeit 2010), die derzeit mit einem modernen Methodeninventar als XML-Dokumente nach den Richtlinien der TEI annotiert und auf ihre digitale Verfügbarkeit im Netz vorbereitet werden. Die Darstellung der Sachverhalte, die zur Hinrichtung führen, sind zwar medial überformt (vgl. Peil 2002, Kosenina 2005, Wiltenburg 2009, Dainat 2009, Härter 2010), beruhen allerdings auf den Entscheidungen des damaligen Stadtgerichts.
Bei der Erschließung zu berücksichtigen ist, dass im Laufe des 18. Jahrhunderts unterschiedliche Strafrechtsbestimmungen in Kraft waren. Vor 1768 gab es in den Ländern Österreichs und Böhmens kein einheitliches Straf- und Strafprozessrecht, jedoch galten die “Constitutio Criminalis Carolina Peinliche Gerichts- oder Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V.” und daneben unterschiedliche Landgerichtsordnungen, etwa die “Land-Gerichts-Ordnung. Deß Ertz-Hertzogthumbs Oesterreich unter der Ennß”. Erst im Jahre 1768 wurde durch die Constitutio Criminalis Theresiana, auch “Theresiana” genannt, ein einheitliches Straf- und Strafprozessgesetz eingeführt, welches aber bereits 1787 vom Allgemeines Gesetzbuch über Verbrechen und derselben Bestrafung, dem sogenannten “Strafgesetzbuch Josephs II” oder “Josephina” abgelöst wurde.
All diesen Strafrechtsbestimmungen ist gemein, dass sie unterschiedliche Tatbestände definieren, die mit der Todesstrafe belegt sind. Im Laufe der Zeit wurden aber zum Teil neue Tatbestände ergänzt und mit neuen Definitionen versehen und stattdessen andere Delikte abgeschafft. Diese Delikte werden auch in den zu erschließenden Quellen beschrieben: Wie erwähnt, handelt es sich dabei nicht eigentlich um Rechtstexte, sondern um Flugblätter, die über öffentliche Hinrichtungen im 18. Jahrhundert berichten. Die Quellen werden zwar als “Todesurteile” bezeichnet, aber da sich die Flugblätter an ein breites Publikum wenden, werden die Delikte allgemeinverständlich beschrieben, kaum aber unter Verwendung der damals zeitgenössischen Rechtsterminologie. DelinquentInnen werden als
UrphedsbrecherInnen oder
DiebInnen bezeichnet, ohne aber den eigentlichen Tatestand zu nennen - eine Referenz auf die jeweilige Gesetzesstelle fehlt oft gänzlich. Im gesamten Quellenmaterial konnte nur ein einziger Beleg gefunden werden, bei dem direkt auf den Gesetzestext referenziert wurde.

Ein weitere Herausforderung für die Erschließung der Quellen stellen die Schreibvarianten dar, vgl. etwa
Diebstahl vs.
Diebstall oder
Urfehde vs.
Urphed,
Vrphed oder
Vrphedt. Aus diesen Gründen ist die toolgestützte Analyse und die Zuordnung der Flugblätter zu den einzelnen Straftatbeständen erschwert. In ähnlich gelagerten Projekten, wie z.B. den “Proceedings of the old Bailey online”, die eine Zeitspanne von ca. 240 Jahren abdecken, wurden die Delikte für die Erschließung des Materials bewusst nicht nach den gesetzlichen Bestimmungen definiert (vgl. Hitchcock, Tim et al.), sondern allgemeine Definitionen erarbeitet. In dem vorliegenden Projekt haben wir uns für eine quellennahe Definition entschieden. Aus diesem Grund ist es für den Thesaurus auch essentiell, nicht nur die Definitionen bereitzustellen, sondern auch die Angabe der Quelle, aus der die Definition stammt, sowie die Erfassung von Varianten. Als Framework für die Erstellung und mögliche Darstellung des Thesaurus im Semantic Web wird als formale Sprache auf SKOS (Simple Knowledge Organisation System) mit der Erweiterung SKOS-XL (SKOS Simple Knowledge Organization System eXtension for Labels) zurückgegriffen.

Um eine verallgemeinernde Typologisierung aller in den Quellen vorkommenden Delikte zu vermeiden und eine quellennahe und differenzierte Zuordnung zu ermöglichen, möchten wir den von uns erstellten Thesaurus präsentieren, der auf der Web-Applikation eine von mehreren Möglichkeiten des Zugriffs darstellen wird (andere Zugriffsmöglichkeiten ergeben sich aus biographischen Angaben zu den DelinquentInnen wie Alter, Geschlecht, Familienstand, Religionszugehörigkeit, Herkunft bzw. der Volltextsuche im Text).
Anhand des Posterbeitrags wollen wir erörtern, wie die einzelnen Tatbestände aus den unterschiedlichen Rechtsnormen miteinander in Relation gesetzt werden können, wie weiters eine Verbindung zu den heutigen Tatbeständen hergestellt werden wird und worin letztlich der Mehrwert für zukünftige UserInnen innerhalb und außerhalb der Academia besteht. Schließlich sollen auch mögliche Nachnutzungsszenarien für den Thesaurus thematisiert werden.

Bibliographie

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Ammerer, Gerhard / Adomeit, Friedrich (2010): „Armesünderblätter“ in: Härter, Karl / Sälter, Gerhard / Wiebel, Eva (eds.): Repräsentation von Kriminalität und öffentlicher Sicherheit. Bilder, Vorstellungen und Diskurse vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Klostermann 271-308.

Dainat, Holger (2009): „Räuber im Oktavformat: Über die printmediale Aufbereitung von Kriminalität im 18. Jahrhundert“ in: Habermas, Rebekka / Schwerhoff, Gerd (Hrsg.): Verbrechen im Blick. Perspektiven der neuzeitlichen Kriminalitätsgeschichte. Frankfurt/New York: Campus Verlag 339-366.

Dirschl, Christian (2016): „Thesaurus Generation and Usage at Wolters Kluwer Deutschland GmbH“ in: Jusletter IT 25. Februar 2016, Proceedings IRIS 2016.
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Härter, Karl (2010): „Criminalbilder: Verbrechen, Justiz und Strafe in illustrierten Einblattdrucken der Frühen Neuzeit“ in: Härter, Karl / Sälter, Gerhard / Wiebel, Eva (Hrsg.): Repräsentation von Kriminalität und öffentlicher Sicherheit. Bilder, Vorstellungen und Diskurse vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Klostermann 25-88.

Hitchcock, Tim / Shoemaker, Robert / Emsley, Clive / Howard, Sharon / McLaughin, Jamie et al. (2012) (eds.) The Old Bailey Proceedings Online, 1674-1913. http://
www.oldbaileyonline.org/ [letzter Zugriff: 22. September 2017]

Košenina, Alexander (2015): „Recht – gefällig. Frühneuzeitliche Verbrechensdarstellung zwischen Dokumentation und Unterhaltung“ in: Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge Band 15, Nummer 1 (2005) 28-47.

Peil, Dietmar (2002): „Strafe und Ritual. Zur Darstellung von Straftaten und Bestrafungen im illustrierten Flugblatt.“ in: Harms, Wolfgang / Peil, Dietmar (Hrsg.): Wahrnehmungsgeschichte und Wissenschaftsdiskurs im illustrierten Flugblatt der Frühen Neuzeit (1450-1700). Basel 265-486.

Wiltenburg, Joy (2009) „Formen des Sensationalismus in frühneuzeitlichen Kriminalberichten“ in: Habermas, Rebekka / Schwerhoff, Gerd (Hrsg.): Verbrechen im Blick. Perspektiven der neuzeitlichen Kriminalitätsgeschichte. Frankfurt/New York: Campus Verlag 323-338.

Wersig, Gernot (2016): Thesaurus-Leitfaden: Eine Einführung in das Thesaurus-Prinzip in Theorie und Praxis. Berlin / Boston: de Gruyter Saur Reprint.

W3C: SKOS Simple Knowledge Organization System Reference. W3C Recommendation 18 August 2009
https://www.w3.org/TR/2009/REC-skos-reference-20090818/) [letzter Zugriff: 22.09.2017]

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DHd - 2018
"Kritik der digitalen vernunft"

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Feb. 26, 2018 - March 2, 2018

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Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.

Series: DHd (5)

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