Zur Zukunft der Digitalen Briefedition – kooperative Lösungen im kulturwissenschaftlichen Forschungsdaten-management

workshop / tutorial
Authorship
  1. 1. Jochen Strobel

    Philipps-Universität Marburg

  2. 2. Thomas Bürger

    Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden

Work text
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Ausgehend von thesenförmigen Impulsreferaten (jeweils 10 Min., die PPT-Folien werden nach der Tagung publiziert) sollen editionstheoretische und -technische Fragen diskutiert werden.

Block 1 Impulse (90 Minuten) 14:00 – 15:30 Uhr

Begrüßung und Einführung (Thomas Bürger und Jochen Strobel)
Offenheit und institutionelle Schließung (Patrick Sahle)
Kommentierung – ein Auslaufmodell? (Anne Bohnenkamp)
Versionierung/Zitation (Joachim Veit)
Hemmnisse und Katalysatoren digitaler Brief-Infrastrukturen (Thomas Stäcker)
Schnelle Wege zu den Briefen (Stefan Dumont)
DARIAH-Services für Briefeditionen (Mirjam Blümm)
Akteure und Rollen (Jochen Strobel)

Block 2 Diskussion, Fazit, Ausblick (90 Minuten) 16:00 – 17:30 Uhr
Diskussion der Impulsreferate und der fachlichen und förderpolitischen Schlussfolgerungen (Moderation: Thomas Bürger, Jochen Strobel)

Block 1: 14:00 – 15:30 Uhr

1. Einführung (Thomas Bürger, Jochen Strobel)

Ob es nun zutrifft, dass die Edition zu den Kerngeschäften der Geisteswissenschaften gehört und sogar die Königsdisziplin der Digital Humanities sei, bleibe dahingestellt – nutzerseitig handelt es sich bei den Forschungsergebnissen dieser Disziplin um diejenigen mit der längsten Halbwertszeit. Die Aussicht, dass gut gemachte Editionen zu den unverzichtbaren Grundlagen der wissenschaftlichen Praxis gehören, setzt die an Editionen Beteiligten aber auch unter Druck. Editionen sind langwierig und teuer, sie müssen im fachlichen und technischen Sinne zuverlässige Daten vorhalten, sie müssen dauerhaft verfügbar und doch auf der Höhe der Zeit sein. Dazu bedarf es fachlich und technisch versierter Bearbeiter. Tagungen und Publikationen zur Digitalen Editionverdeutlichen das Bedürfnis nach Orientierung, Standardisierung, Weiterentwicklung und transparenterer Vernetzung. Eine pragmatische Ausrichtung schließt diese Ziele ein:

die Orientierung der Usability an Forschungsfragen der Nutzer*innen, insbesondere eine Optimierung der Durchsuch- und Findbarkeit und eine gute Lesbarkeit der Texte
die zeitgemäße Einbettung der Edition in stabile virtuelle Forschungsumgebungen
die Anschlussfähigkeit in Infrastrukturen
Sparten und Institutionen übergreifende Projektvernetzung.

Die Briefedition ist ein prominentes Paradigma: In analoger Form ist sie besonders zeitraubend und kostspielig. Als Zeugnis historischer Netzwerke und Kommunikations-strukturen und wegen der vergleichsweise fortgeschrittenen Standardisierung bietet sie sich als Avantgarde digitaler Projektvernetzung und Daten-Aggregierung geradezu an.
Patrick Sahle hat für Editionen plausibel zwischen der Repräsentation der eigentlichen Daten („Inhalt“) und der Präsentation („Form“) unterschieden. Unumstrittene Geltung besitzen Kriterien, wie sie auch durch Roland Kamzelak benannt wurden, also z. B. XML-Standard, Open Source-Software und Open Access, Nachnutzbarkeit, persistente URL, Langzeitarchivierung. Ein faktischer Standard besteht mit den von der DFG herausgegebenen Förderkriterien für Wissenschaftliche Editionen. Komplementär hierzu und um ein Vielfaches differenzierter bietet der vom IDE bereitgestellte Kriterienkatalog für die Besprechung digitaler Editionen Anhaltspunkte. Mit RIDE besteht ein Rezensionsjournal für Editionen. Thomas Stäcker, Thomas Burch u.a. verweisen auf innovative multiple Analyse- und Darstellungsmöglichkeiten (Distant Reading, Mapping the Republic of Letters), die neue Fragestellungen und Vermittlungsformen erlauben und zu neuen Verständigungen (z.B. über Remediatisierung, über innovative Vermittlungswege der wissenschaftlichen und kulturellen Überlieferung, das Potential graphorientierter Datemodelle) anregen.

2. Offenheit und institutionelle Schließung (Patrick Sahle)

Die Digitale Edition verheißt ewige Unabgeschlossenheit und technische wie fachliche Offenheit – was aber bedeutet dies: Paradies oder Inferno? Bei allen Vorzügen der Korrigier- und Ergänzbarkeit durch das Editorenteam oder auch durch User: editorische Daten müssen zuverlässig sein – wir wollen nicht ewig auf Baustellen leben. Was bedeutet dies im Hinblick auf mögliche Schließungsregeln für ein offenes Medium (s. u.: Zitation/Versionierung)? Was folgt etwa in puncto Nachnutzbarkeit hieraus? Ist zu unterscheiden zwischen gesicherten Forschungsdaten und solchen, die als Forschungsergebnisse zwar intersubjektiver Nachprüfbarkeit unterliegen, in ihrer Thesenhaftigkeit wie auch Kontextabhängigkeit aber zugleich diskussionswürdig und revidierbar sind, wie etwa Interpretamente?
In der Praxis sind es institutionelle und finanzielle Zwänge, die die Begrenzung und Schließung von an sich offenen Projekten erforderlich machen. Hieraus ergeben sich grundlegende Fragen nach der gebündelten Kuratierung abgeschlossener Projekte.

3. Kommentierung – ein Auslaufmodell? (Anne Bohnenkamp)

Ist der „Stellenkommentar“ überflüssig, ein in der Editionsphilologie zwischen Redundanz- und Interpretationsverdikt immer schon umstrittenes Element, das gleichwohl der Profilierung der Editor*innen wie vor allem der Usability diente? Ist über Tagging und Verlinkung hinaus ein editionsspezifisches kommentierendes Angebot sinnvoll – und wie sollte es sich zu den zuhauf existenten externen Informationsressourcen technisch und sachlich verhalten? Ist die Kommentierung vielleicht sogar jenseits der scheinbar mechanischen und objektiven digitalen Repräsentation jener letzte Ort, an dem das Fachwissen und die interpretatorische Leistung die Unverzichtbarkeit des Editors als eigentlichem Experten und bestem Kenner der Materie belegt?

4. Versionierung/Zitation (Joachim Veit)

Die Herstellung von beliebig vielen, zitationsfähigen Versionen eines edierten Texts oder Textabschnitts ist technisch kein Problem, die Zuweisung persistenter Identifier ebenso wenig. Wie sollten Forschungsdaten jenseits der Text(präsentations)ebene zitiert werden? Was sind die (Haupt-?)Bestandteile der Editionen, wo liegen ihre Grenzen? Nach der verbindlichen Veröffentlichung eines Textes müssen editorische Veränderungen als unterschiedliche Versionen markiert werden. Hierzu dienlich ist ein Versionierungssystem. Präzise Zitierfähigkeit ist ein unverzichtbares Merkmal von Editionen – doch wie bleibt sie unter digitalen Auspizien praktikabel? Hierzu zählt z. B. die nicht triviale Frage nach der Länge des Zitatnachweises, der ganz oder teilweise zugleich Link in einer Online-Publikation ist.

5. Hemmnisse und Katalysatoren digitaler Brief-Infrastrukturen (Thomas Stäcker)

Es besteht seit langem Einigkeit darüber, dass die Verwendung normierter Metadaten sowie die Codierung gemäß den Regeln des TEI-Konsortiums eine Garantie für Qualität und Nachhaltigkeit bietet. GND, VIAF – inzwischen verwenden Digitale Editionen bibliothekarische Normdaten zur Referenzierung von Personen, Orten u.a. Die Standardisierung von Werktiteln schreitet eher langsam voran. In der Praxis ist aber ebenso bekannt, dass von Projekt zu Projekt kleinere oder größere Abweichungen zu verzeichnen sind. Welche Folgerungen sind aus dieser Inkongruenz zu ziehen, wie ist mit einer unterschiedlichen Nutzung von Standards umzugehen?
Mit dem Verlassen der Zweidimensionalität des gedruckten Textes findet nicht nur durch das Verschwinden des Substrates ein Verlust an Stabilität statt, sondern es treten durchaus andere stabile Konstituentien an dessen Stelle. Welche Entwicklungen sind zu erwarten bzw. zu organisieren?

6. Schnelle Wege zu den Briefen (Stefan Dumont)

CorrespSearch will verbesserte Voraussetzungen für die Vernetzung von Briefeditionen schaffen. Damit sollen Briefmetadaten über das bisherige Basis-Set hinaus verarbeitet und auch die Erstellung von digitalen Briefverzeichnissen aus gedruckten Publikationen unterstützt werden. Über Schnittstellen zu anderen Diensten ist der Webservice in die existierende und zu entwickelnde Infrastrukturlandschaft tiefer einzubetten. Wie lassen sich nutzer- und forschungsfreundlich die Zugänge zu Briefen und insbesondere zu den Volltexten vereinfachen? In welchem Verhältnis steht CorrepSearch zu den vielen anderen Angeboten (Deutsche Digitale Bibliothek, Europeana, Kalliope u.a.)?

7. DARIAH-Services für Briefeditionen (Mirjam Blümm)

DARIAH.DE ist eine Informations- und Technikinfrastruktur für Lehre, Forschung, Forschungsdaten und technische Werkzeuge. Welchen Stand hat die Infrastruktur zur Einbindung digitaler Editionen erreicht und welche kollaborativen Strukturen und Ziele sollten angestrebt werden?

8. Akteure und Rollen (Jochen Strobel)

Die Digital Humanities fördern kollaboratives Arbeiten und generell eine Diversifizierung und Verflüssigung von Rollen und Verantwortlichkeiten. Zu den Rollen einer digitalen wissenschaftlichen Autor- und Beiträgerschaft zählen u.a. Hauptherausgeber*in, Kurator*in, Programmierer*in, Kodierer*in, Tagger*in, wissenschaftliche Hilfskraft, Crowdsourcer*in. Einige dieser und weitere Rollen sind so neu nicht, manche dürften vom bisherigen Urheberrecht nicht hinreichend abgedeckt sein. Editionen sind seit langem kollaborative Projekte, die Rollen der Beteiligten sind dementsprechend vielfach ausdifferenziert. Welche Folgerungen ergeben sich für die digitale Edition einerseits und für die akademische Karriereplanung zwischen Forschung und Informationsinfrastruktur andererseits?

Block 2: 16:00 – 17:30 Uhr

9. Diskussion, Fazit, Ausblick (Moderation: Thomas Bürger, Jochen Strobel)

In der Schlussdiskussion sollen die Impulsreferate diskutiert und ein Fazit gezogen werden. Dabei sind auch forschungspolitische Schlussfolgerungen zu thematisieren. Editionen und insbesondere Briefeditionen sind in der Regel langfristige Projekte und deshalb vor allem an Akademien angesiedelt. Durch die sich verbreiternde Retrodigitalisierung und verfügbare digitale Werkzeuge können Projektlaufzeiten perspektivisch weiter verkürzt und Projektfortschritte transparent in Forschung und Lehre eingebunden werden. Wie groß ist der Bedarf an digitalen Editionen und wie können sie Teil einer Nationalen Forschungsdateninfrastruktur werden? Welche drängenden Fragen sind zeitnah in weiteren Workshops zu besprechen?

Bibliographie

Roland Kamzelak: Empfehlungen zum Umgang mit Editionen im Digitalen Zeitalter, in editio 26 (2012), S. 202–209.

Patrick Sahle: Digitale Editionsformen. 3 Bände. Norderstedt 2013.

http://www.mww-forschung.de/blog/blogdetail/wie-sieht-die-digitale-edition-der-zukunft-aus-herr-kamzelak/?tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx;_news_pi1%5Baction%5D=detail (30.8.2017)

http://dhd-wp.hab.de/?q=ag-text#abschnitt4 (30.8.2017)

http://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/grundlagen_dfg_foerderung/informationen_fachwissenschaften/geisteswissenschaften/foerderkriterien_editionen_literaturwissenschaft.pdf (30.8.2017)

https://www.i-d-e.de/publikationen/weitereschriften/kriterien-version-1-1/ (30.8.2017)

http://ride.i-d-e.de/ (30.08.2017)

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Conference Info

In review

DHd - 2018
"Kritik der digitalen vernunft"

Cologne, Germany

Feb. 26, 2018 - March 2, 2018

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Conference website: https://dhd2018.uni-koeln.de/

Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.

Series: DHd (5)

Organizers: DHd