Aus erster Hand – 3000 Jahre Kursivschrift der Pharaonenzeit digital analysiert

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Authorship
  1. 1. Simone Gerhards

    Altorientalische Philologie, Institut für Altertumswissenschaften, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

  2. 2. Svenja A. Gülden

    Altorientalische Philologie, Institut für Altertumswissenschaften, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

  3. 3. Tobias Konrad

    Altorientalische Philologie, Institut für Altertumswissenschaften, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

  4. 4. Michael Leuk

    Akademie der Wissenschaften und der Literatur (ADW) Mainz

  5. 5. Ursula Verhoeven-van Elsbergen

    Altorientalische Philologie, Institut für Altertumswissenschaften, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

  6. 6. Andrea Rapp

    Technische Universität Darmstadt (Technical University of Darmstadt)

Work text
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Das Projekt
Altägyptische Kursivschriften (AKU 2015) an der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz unter der Leitung von Prof. Dr. Ursula Verhoeven-van Elsbergen (JGU Mainz) in Kooperation mit Prof. Dr. Andrea Rapp (TU Darmstadt) besteht seit April 2015. Ziel ist es, in verschiedenen Modulen im Verlauf von maximal 23 Jahren eine digitale Paläographie zum Hieratischen und zu den Kursivhieroglyphen zu erstellen sowie verschiedene Aspekte der Kursivschrift-Kultur systematisch unter Einbeziehung digitaler Methoden zu untersuchen.

Im Alten Ägypten gab es neben den monumentalen und detailliert ausgeführten Hieroglyphen auch kursive (Hand-)Schriften, die als Hieratisch, Kursivhieroglyphen, Kursivhieratisch und Demotisch bezeichnet werden. Sie wurden mit Pflanzenstengeln und Rußtusche auf Papyrus, Leinen, Leder, Holz, Ton oder Stein geschrieben oder eingeritzt. Die Kursivschriften spielten unter Gelehrten, Priestern, Beamten und Schreibern eine wesentliche Rolle in den Bereichen der Kommunikation und Verwaltung, aber auch in der Dichtung, den Wissensgebieten sowie religiösen und funerären Texten. Das Hieratische war über 3000 Jahre lang in Gebrauch und wurde von den Schülern als erste Schriftart noch vor den Hieroglyphen erlernt.
Bis heute ist die knapp 100 Jahre alte
Hieratische Paläographie von Georg Möller das Standardwerk für die ägyptologische paläographische Forschung (Möller 1909–1912). Er hat aus nur 32 gut datierten Schriftzeugnissen (vor allem Papyri) alle identifizierbaren Grapheme faksimiliert und in übersichtlichen Listen erfasst, die die Zeitspanne von der 5. Dynastie (ca. 2500 v. Chr.) bis zur römischen Kaiserzeit (3. Jh. n. Chr.) abdecken; die drei Bände bestehen aber zusammengenommen aus nur etwa 220 Seiten. Da ihm für manche Epochen nur sehr wenige oder gar keine Schriftquellen zur Verfügung standen, sind einige Zeiträume nicht oder nur unzureichend dokumentiert. Möller selbst betrachtete diese Listen als Vorarbeiten für weitergehende Untersuchungen, was er aber aufgrund seines frühen Todes nicht realisieren konnte. Erst ca. 70 Jahre später formulierte Posener (1973) seine Anforderungen an eine zukünftige paläographische Forschung und einen
nouveau Möller. Mit den damaligen technischen Voraussetzungen hätten die komplexen Anforderungen in Verbindung mit der Materialfülle selbst von einer Forschergruppe nicht erfüllt werden können. So erklären sich die zahlreichen Teilpaläographien, die in den nachfolgenden Jahrzehnten im Rahmen ägyptologisch-paläographischer Forschung entstanden sind (z. B. Goedicke 1988, Verhoeven 2001, Allen 2002, Lenzo 2011). Diese halten sich bis heute an das Prinzip von Möller, ordnen die Zeichen allerdings nach der Standardliste (
Sign-list), die Gardiner in seiner
Egyptian Grammar (Gardiner 1927, 31973: 438-548) publiziert hat. Da bei Gardiner aber nicht alle hieroglyphischen Entsprechungen zu den
Hieratogrammen (Verhoeven 2001: 1) zu finden sind, kam es in den verschiedenen Teilpaläographien zu diversen Erweiterungen, die keinem einheitlichen Prinzip folgen und somit nicht eindeutig referenzierbar sind (Gülden 2016: 3).

Digitale Ansätze zur Analyse von Handschriften beschreiben beispielsweise Stokes (2009) für das europäische Mittelalter und Quirke (2011) für die hieratische Schrift des Alten Ägypten. Das AKU-Projekt entwickelt erstmals eine Paläographiedatenbank, in der nach und nach das gesamte Zeichenrepertoire der altägyptischen Kursivschriften erfasst wird: ca. 600 Grapheme ¬– sowohl Laut- als auch Deutzeichen, Zahlen, Maße und Korrekturzeichen sowie Ligaturen, Zeichengruppen und besondere Orthographien (Verhoeven 2015: 32). Fü
Während für alphabetische Schriften bereits zahlreiche Vorarbeiten im Bereich der Handschriftenerkennung vorliegen, muss dies für die Handschrift des Alten Ägypten erst entwickelt werden, um eine Grundlage für automatisierte Prozesse bei der Zeichenerkennung, -erfassung und -auswertung dieser komplexen Schrift zu ermöglichen.
Zunächst werden die einzelnen Schriftzeichen (
Hieratogramme) auf der Basis hochauflösender Digitalisate der Textträger faksimiliert (umgezeichnet). Diese werden sowohl als Vektor- und Rastergrafiken gespeichert. In der Datenbank, die in den nächsten Jahren als
open access online tool zur Verfügung stehen soll, werden sie kategorisiert und annotiert. Dadurch soll die Auswertung mit unterschiedlichen Verfahren (z. B.
shape matching,
image retrieval und
pattern recognition) ermöglicht werden.

Für die Hieratistik sind das vor allem Fragen zu Entwicklung und Diversität der Kursiven, Bezügen zur Hieroglyphenschrift sowie kontextuellen und funktionellen Anpassungen. Hinzu kommen Aspekte zur Schriftökonomie, Schreibrichtung, zu Abkürzungen, Diakritika und Ligaturen sowie zum Layout. Mithilfe von Clusteranalysen können Datierungen, Schreiberpersonen und regionale Unterschiede identifiziert werden.
Langfristig erhofft sich das Projekt mit den erfassten Zeichen zudem eine Basis für weitere automatisierte Verfahren (
machine learning) zu schaffen, damit auch umfangreiche Textträger (bspw. verfügt ein 23 m langen Papyrus hochgerechnet über 140.000 Einzelzeichen) analysiert werden können. Für ein Repositorium, aber auch für Auswertungen, Visualisierungen und
linked open data, sollen die Daten in verschiedene Formate übertragen werden, z. B. in ein TEI konformes XML-Schema und als csv-Files.

Bibliographie

Allen, James P. (2002):
The Heqanakht papyri. Publications of the Metropolitan Museum of Art Egyptian Expedition 27. New York: Metropolitan Museum of Art.

AKU (2015):
Altägyptische Kursivschriften. Digitale Paläographie und systematische Analyse des Hieratischen und der Kursivhieroglyphen (AKU). Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz http://aku.uni-mainz.de [letzter Zugriff 22. September 2017].

Gardiner, Sir Alan (1927
31973):
Egyptian Grammar. Oxford 1927. Third edition. Oxford: Oxford University Press,
31973.

Goedicke, Hans (1988):
Old Hieratic Paleography. Baltimore: Halgo.

Gülden, Svenja A. (2016): „
Ein ‚nouveau Möller‘? Grenzen und Möglichkeiten. Ein working paper zum gleichnamigen Vortrag“. Hieratic Studies Online 1 urn:nbn:de:hebis:77-publ-557584.

Gülden, Svenja A. / Krause, Celia / Verhoeven, Ursula (2017): „Prolegomena zu einer digitalen Paläographie des Hieratischen“ in: Fischer, Franz / Sahle, Patrick / Busch, Hannah (eds.):
Kodikologie & Paläographie im digitalen Zeitalter 4. Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik 11. Norderstedt: Books on Demand 253-273 kups.ub.uni-koeln.de/7774/.

Gülden, Svenja A. / Krause, Celia / Verhoeven, Ursula (im Druck): „Digital Palaeography of Hieratic“, in: Davies, Vanessa / Laboury, Dimitri (eds.):
Oxford Handbook of Epigraphy and Palaeography, Oxford: Oxford University Press.

Lenzo, Giuseppina (2011): „Paleografia“, in: Roccati, Alessandro:
Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati. Analecta Orientalia 56. Roma: Gregorian & Biblical Press 193–255.

Möller, Georg (1909–1912):
Hieratische Paläographie. Die Aegyptische Buchschrift in ihrer Entwicklung von der fünften Dynastie bis zur Römischen Kaiserzeit I–III. Leipzig: J. C. Hinrichs, 1909–1912. I–IV: Leipzig: J. C. Hinrichs,
21927–1936. Neudruck Osnabrück: Otto Zeller, 1965.

Posener, Georges (1973): „L’écriture hiératique“, in:
Textes et langages de l’Égypte pharaonique, cent cinquante années de recherches I
, 1822–1972. Bibliothèque d’Étude 64, 1. Le Caire: Institut français d’archéologie orientale 25-30.

Quirke, Stephen (2011): „Agendas for Digital Palaeography in an Archaeological Context: Egypt 1800 BC“, in: Fischer, Franz et al. (eds.):
Kodikologie und Paläographie im digitalen Zeitalter. Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik 3. Norderstedt: Books on Demand 279-294 kups.ub.uni-koeln.de/4354/.

Stokes, Peter (2009): „
Computer-Aided Palaeography, Present and Future“, in: Rehbein, Malte et al. (eds.):
Kodikologie und Paläographie im digitalen Zeitalter. Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik 2. Norderstedt: Books on Demand GmbH 310-338 kups.ub.uni-koeln.de/2978/.

Verhoeven, Ursula (2001):
Untersuchungen zur späthieratischen Buchschrift. Orientalia Lovaniensia Analecta 99. Leuven: Peeters.

Verhoeven, Ursula (2015): „Stand und Aufgaben der Erforschung des Hieratischen und der Kursivhieroglyphen“, in: Verhoeven, Ursula (ed.):
Ägyptologische „Binsen“-Weisheiten I–II, Neue Forschungen und Methoden der Hieratistik, Akten zweier Tagungen in Mainz im April 2011 und März 2013. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Einzelveröffentlichungen Nr. 14. Mainz und Stuttgart: Franz Steiner Verlag 23–63 urn:nbn:de:hebis:77-publ-547544.

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In review

DHd - 2018
"Kritik der digitalen vernunft"

Cologne, Germany

Feb. 26, 2018 - March 2, 2018

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Conference website: https://dhd2018.uni-koeln.de/

Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.

Series: DHd (5)

Organizers: DHd