Raum und Zeit in Comics: Die Wirkung von Zwischenräumen auf Aufmerksamkeit und empfundene Zeit beim Lesen graphischer Literatur

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Authorship
  1. 1. Sven Hohenstein

    Theodor-Fontane-Archiv, Universität Potsdam

  2. 2. Jochen Laubrock

    Theodor-Fontane-Archiv, Universität Potsdam

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Aufgrund der Kombination von Text und Bild stellen graphische Literatur und Comics komplexe Medien dar. Diese Hybridität stellt an die Aufmerksamkeit beim Lesen andere Anforderungen als bei rein textbasierten Romanen, da Informationen unterschiedlichen Typs erfasst und verarbeitet werden müssen. Wegen ihrer Konfiguration als eine Folge von Panels werden Comics auch als sequenzielle Kunst bezeichnet. Nach McCloud (1993) spielt der Raum zwischen den Panels, der als „gutter“ bezeichnet wird, eine Rolle für die Verbindung der einzelnen Panels. Obwohl dieser Raum selbst leer ist, so vergeht doch nach McCloud Zeit zwischen zwei Panels. Diesem Postulat hinsichtlich der Empfindung, die durch den „gutter“ ausgelöst wird, haben wir uns im Rahmen einer empirischen Studie gewidmet.
Die Wirkung zusätzlichen, leeren Raums zwischen Panels für die subjektive Wahrnehmung von Zeit beim Lesen graphischer Literatur haben wir mit kognitionspychologischen Experimenten untersucht. Dieses Vorgehen erlaubt es über die reine Beschreibung des Materials hinaus den subjektiven Eindruck der Leserin bzw. des Lesers zu erfassen. Für diese Experimente stellten wir eine Sammlung von einzelnen Panels aus verschiedenen Comic-Reihen zusammen, beispielsweise „Astérix“ und „Donald Duck“. Die Auswahl der Panels erfolgte nach dem Kriterium, dass sie sich horizontal teilen lassen. Bei dieser Teilung wurde ein Panel per Bildbearbeitungssoftware in mehrere kleinere Unterpanels geteilt. Zusammenhängende Textabschnitte blieben dabei ungeteilt.
Im ersten Experiment wurde das Material in zwei Bedingungen dargeboten. In der Kontrollbedingung wurden die Panels jeweils ohne Teilung in ihrer ursprünglichen Form auf einem Bildschirm präsentiert. In der zweiten Bedingung wurden die Subpanels hintereinander auf dem Bildschirm gezeigt. Jeder Durchgang endete damit, dass die Probanden gefragt wurde, wieviel Zeit während der Geschichte, die in dem Panel erzählt wird, vergangen ist. Die Antworten der Probanden spiegeln somit deren subjektive Einschätzung der Dauer wider. Obwohl in beiden Bedingungen letztlich dieselben Panels gezeigt wurden, gab es bedeutsame Unterschiede in den Antworten. Die Teilung der Panels führte zu längeren subjektiven Dauern als die Kontrollbedingung. Dieses Ergebnis verdeutlicht den Einfluss der Konfiguration visueller Information auf die Wahrnehmung der Leserin bzw. des Lesers.
Um eine detailliertere Analyse der Aufmerksamkeit der Probanden vornehmen zu können, haben wir im zweiten Experiment zusätzlich Blickbewegungen erhoben. Für die Kontrolle der Auswirkungen der Panel-Teilung auf die wahrgenommene Dauer haben wir zudem das Material in einer Weise präsentiert, die ähnlicher zu tatsächlichen Comics ist. Die Subpanels wurden nebeneinander mit zusätzlichem, leerem Zwischenraum angeordnet, so dass das Aussehen einer kurzen Comic-Geschichte mit mehreren Panels gleicht. In der Kontrollbedingung wurden die Panels erneut ungeteilt dargeboten. Erneut wurden die Dauern länger eingeschätzt, wenn die Panels geteilt auf dem Bildschirm erschienen.
Die Auswertung der Blickbewegungen ergab ein differenziertes Bild der Aufmerksamkeitsverteilung beim Betrachten der Panels. Die Blickbewegungsmuster unterschieden sich in Hinblick auf die experimentelle Bedingung. Waren die Panels geteilt, so machten die Versuchspersonen mehr Fixationen. Die höhere Anzahl an Fixationen ist somit eine mögliche Ursache für die subjektiv längere verstrichene Zeit. Außerdem zeigte sich eine leichte relative Tendenz zur Fixation nahe dem Zentrum eines jeden Subpanels, die bei geteilten Panels stärker ausgeprägt war. Diese und andere Befunde sprechen dafür, dass die Teilung von Panels die Aufmerksamkeit beim Lesen und Betrachten sowie die Wirkung graphischer Literatur beeinflussen kann.

Bibliographie

McCloud, Scott (1993):
Understanding comics: the invisible art.
Northampton, MA: Tundra.

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DHd - 2017
"Digitale Nachhaltigkeit"

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Bern, Switzerland

Feb. 13, 2017 - Feb. 18, 2017

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Conference website: http://www.dhd2017.ch/

Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.

Series: DHd (4)

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