Das digitale Museum: ein nachhaltiger Partner der Digital Humanities?

panel / roundtable
Authorship
  1. 1. Georg Hohmann

    Deutsches Museum, München

  2. 2. Antje Schmidt

    Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg

  3. 3. Regina Doppelbauer

    Albertina, Wien

  4. 4. Malte Rehbein

    Universität Passau

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Ausgangslage
In der digitalen Gesellschaft steht das Museum als Gedächtnisinstitution vor besonderen Herausforderungen. Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln als die klassischen Aufgabenbereiche des Museums müssen von Grund auf hinterfragt und in Hinblick auf digitale Möglichkeiten und Anforderungen angepasst, verändert und erweitert werden.
Wie kaum ein anderes Fach steht die Disziplin der Digital Humanities als Repräsentant dafür, welche Anforderungen und Ansprüche vor allem von Seiten der Wissenschaft an moderne Gedächtnisinstitutionen gestellt werden. Waren und sind Museen seit jeher wichtige Partner und auch Horte der historisch orientierten Geisteswissenschaften, müssen sie sich nun an die Gegebenheiten der digitalen Geisteswissenschaften anpassen, um ihre Bedeutung zu erhalten und vielleicht sogar auszubauen. Das Museum kann nicht mehr nur ein begehbarer Ort des kulturellen Erbes sein, sondern muss auch als digitaler Wissensspeicher seine Informationen zur Verfügung stellen (Clough 2013: 2). Die Verantwortung gegenüber den realen Objekten erweitert sich auf die Sphäre der digitalen Information (Keene 1998: 23), die ebenso wie diese nach wissenschaftlichen Maßstäben gesammelt, bewahrt, erforscht und vermittelt werden will, wobei das Museum gleichzeitig als Aggregationspunkt und Erzeuger fungiert. Dabei wird das Museum an seinen eigenen Ansprüchen gemessen, nämlich die Objekte seiner Betrachtung „für die Ewigkeit“ zu bewahren und dauerhaft der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen (ICOM 2004). Wie kann dies in einer digitalen Umgebung nachhaltig gelingen?

Themenbereiche

Digitalisierung
Die Digitalisierung von Objekten hat inzwischen flächendeckenden Einzug in die Museen gehalten. Grundsätzlich geht es dabei um den Vorgang, von analogen Objekten digitale Abbilder zu generieren, aber auch um die Überführung analoger Informationsträgern in digitale Formate. Hier sind eine Vielzahl von grundlegenden Entscheidungen zu treffen. Dazu gehört die Definition des eigenen Qualitätsanspruchs und dessen Abwägung mit den Anforderungen einer ökonomischen Massendigitalisierung. Durch die ständige Weiterentwicklung im Bereich der digitalen Erfassungstechniken stellt sich auch die Frage, ob eine schlichte Digitalfotografie zur Digitalisierung überhaupt ausreichend ist. Soll ein Digitalisat ein Original in der Ausstellung und für Forschungsfragen gar ersetzen, um das Original besser zu schützen?

Erschließung
Ein Aspekt der Digitalisierung, der oft subsumiert wird, ist die wissenschaftliche Erschließung von Objekten zur Erzeugung digitaler Daten. Im Museum ist dies oft kein einfacher Vorgang der Übertragung von analoger in digitale Information, da die Information im Vorfeld gar nicht strukturiert vorhanden ist, sondern erst wissenschaftlich erarbeitet werden muss. Die Tiefe und die Perspektive mit der digitalisiert und erschlossen wird, bestimmen zu einem nicht geringen Grad die Möglichkeiten der späteren wissenschaftlichen Bearbeitung. In der Praxis ist die Erschließung häufig eher von pragmatischen Erwägungen geprägt als von konzeptuellem Vorgehen (Koch 2015). Auch stellt sich die Frage nach dem Umfang. Werden einzelne Objekte in der Tiefe erschlossen, oder wird – in einem ersten Schritt - auf eine flächendeckende Flacherschließung gesetzt, um die Quantität (mit Verlust der Qualität) zu steigern? Nicht zuletzt sind die Kenntnis und die Anwendung von adäquaten Standards, Normdaten und Techniken für eine nachhaltige Erschließung unabdingbar.

Langzeitarchivierung und -verfügbarkeit
Die größte technologische Herausforderung stellt sich im Bereich der digitalen Langzeitarchivierung. Mit ihren digitalen Assets sollten Museen ebenso wie mit ihren realen Objekten umgehen, d.h. sie dauerhaft archivieren und die idealen Lagerbedingungen einhalten. Aufgrund der schieren Menge an digitalen Daten kann diese Aufgaben kaum mehr adäquat von einzelnen Häusern alleine gestemmt werden. Auch die notwendige technische Expertise zur Einhaltung internationaler Standards zur Langzeitarchivierung übersteigt Fähigkeiten und Aufgaben eines Museums. Hier bieten sich Kooperationen mit Dienstleistern an, die aber koordiniert und nachhaltig finanziert werden wollen.

Rechtliche Rahmenbedingungen
Spätestens bei der Veröffentlichung von Daten stellt das Rechtemanagement eine große Hürde dar (Müller, Truckenbrodt 2013). Welche Daten oder Digitalisate dürfen überhaupt gezeigt werden? Wie ist die Rechteklärung zu organisieren und welche verschiedenen Gesetze (Urheberrecht, Markenrecht, Vervielfältigungsrecht, Nutzungsrecht etc.) sind zu berücksichtigen? Die Prinzipien des Open Access sind auch für viele Museen erstrebenswert, aber die weitgehend unklare Rechtslage ist letztlich oft ein Hinderungsgrund, die Open Access Gedanken vollständig umzusetzen (Hamburger Note 2015).

Bereitstellung und Vermittlung
Die digitalen Inhalte von Museen werden üblicherweise über Online-Portale vermittelt. Um aber explizit eine wissenschaftliche Nutzung der Daten zu ermöglichen, sind zudem viele Rahmenbedingungen einzuhalten und Schnittstellen anzubieten. Besonders die digitalen Geisteswissenschaften stellen in dieser Hinsicht hohe Anforderungen, um automatisierte Verfahren anwenden zu können. Die Daten sollten im Idealfall über technische Schnittstellen verfügbar sein, die wieder selbst nach unterschiedlichen Vorgaben und Modellen organisiert sein können. Zudem kann in diesem Bereich noch kaum auf etablierte Systeme zurückgegriffen werden, wodurch Eigenentwicklungen notwendig werden.

Strukturwandel
Mit einer Hinwendung zum Digitalen geht auch eine Metamorphose der Institution Museum einher, die Auswirkungen auf Arbeitsabläufe, Aufgabenbereiche und Zielsetzungen hat. Dies kann sogar so weit führen, das ganze Aufgabenbereiche wegfallen und und andernorts neue entstehen, etwa die eines Museum Information Curators (Low, Doerr 2010). Um den entsprechenden Nachwuchs heranzubilden, sind Museen zur aktiven Mitgestaltung der Aus- und Weiterbildung aufgefordert. Diese tiefgreifenden strukturellen Änderungen sollten von einem umfassenden Change Management begleitet werden, was aber die Kapazitäten der meisten Häuser übersteigen dürfte.

Perspektiven
Das Panel widmet sich den skizzierten Themenbereichen unter verschiedenen Perspektiven, wobei von der These ausgegangen wird, dass die Themen eng zusammenhängen und aufeinander aufbauen. Es kann daher weniger um eine Detaildiskussion einzelner Techniken und Vorgehensweisen gehen, sondern um die Feststellung des State-of-the-Art in der deutschsprachigen Museumsszene sowie um die Diskussion der Zukunft von Museen in Hinblick auf ihr Potenzial als nachhaltiger Partner für die digitale Gesellschaft und Forschung.

Impulsvorträge
Moderation: Mareike Schumacher (Universität Hamburg) & Etta Grotrian (Jüdisches Museum Berlin)

Georg Hohmann: Das digitale Museum
In einer umfassenden Maßnahme werden am Deutschen Museum die Bestände aus Objektsammlungen, Archiv und Bibliothek erschlossen und digitalisiert, womit der Weg zu einem Digitalen Museum eingeleitet wird. Die Ergebnisse werden in einem gemeinsamen Online-Portal präsentiert, das den Wissenskosmos des Deutschen Museum sowohl für wissenschaftliche als auch für interessierte Fachnutzer in aller Welt zugänglich macht. Ein großes Potential hat die interne und externe Vernetzung der Daten, bei der die Nutzung einheitlicher Standards und Normdaten eine zentrale Rolle spielt. Der Beitrag fokussiert die technischen Aspekte zur Bereitstellung von musealen Forschungsdaten und thematisiert die Voraussetzungen und Perspektive zur Nutzung dieser Daten in den digitalen Geisteswissenschaften.

Antje Schmidt: Offene Daten als nachhaltige Ressource
Die Herausforderungen liegen für die Museen heutzutage nicht nur in der digitalen Bereitstellung von Informationen z.B. über Sammlungsdatenbanken, sondern auch in der nachhaltigen Vermittlung und Nachnutzbarmachung dieser. Das Management der rechtlichen Bedingungen, unter denen diese Informationen bereitgestellt werden können und deren klare Vermittlung sind dafür unabdingbar. Mit der MKG Sammlung Online hat das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg als erstes Museum in Deutschland diejenigen digitalisierten Bestände, für die dies rechtlich möglich ist, zur freien Nutzung zur Verfügung gestellt und dies mit Hilfe von Creative Commons Lizenzen dargestellt. Jedes einzelne Digitalisat kann individuell lizensiert werden. In den meisten Online-Sammlungspräsentationen sind die rechtlichen Metadaten allerdings an den Datensatz gebunden. Dies führt zu Problemen, wenn z.B. für ein Objekt mehrere Abbildungen mit unterschiedlichen Lizensierungen vorhanden sind. Zudem sind diese rechtlichen Metadaten nicht einheitlich mitgeführt, sobald es um die Weitergabe an andere Portale geht.
In dem Vortrag soll erläutert werden, welche Bedingungen geschaffen werden müssen, um das Potenzial digitaler Sammlungen zu entfalten, diese nachhaltig zu öffnen und nachnutzbar zu machen.

Regina Doppelbauer: Digitalisierung von 1400 Klebebänden
Der überwiegende Teil der Druckgraphiken der Albertina Wien ist in historischen Großfoliobänden eingeklebt. Diese 1436 Volumina spiegeln Wissen und Ästhetik des 18. und frühen 19. Jahrhunderts wider. Die Blätter selbst erzählen die Entwicklung der Druckgraphik und enthalten ikonographisch unser neuzeitliches Bildgedächtnis. Ein Forschungsprojekt der Albertina zielt auf die dringend notwendige Autopsie und Veröffentlichung der Bände: Diese werden digital erfasst, mit Metadaten versehen und so rasch wie möglich nicht nur der Forschungscommunity online zur Verfügung gestellt.
Der Beitrag stellt den Ansatz vor, der Fülle mit Augenmaß zu begegnen und gleichwohl Standards und Nachhaltigkeit zu gewährleisten: Da eine Bandseite bis zu zwanzig Objekte aufweist, ist eine Einzelobjekterfassung von geschätzten 500.000 Werken nicht zu leisten. Es wird daher ein generisches Erfassungsmodell entwickelt, das vom obligatorischen Scan jeder Seite bis hin zu einer detaillierten Metadatenerfassung der darauf montierten Objekte mehrere Stufen der Erschließung ermöglicht. Wird ein Band flach erschlossen, so werden alle technischen Vorkehrungen getroffen, um spätere Anreicherungen – hausintern oder durch crowd/niche-sourcing - vornehmen zu können.

Malte Rehbein: Virtuelle Verbundsysteme als Nachhaltigkeitsstrategie für Museen und andere Kulturerbe-Institutionen
Sowohl für die Bewahrung des Kulturellen Erbes als auch für dessen Präsentation bietet die Digitalisierung neue Möglichkeiten; dass in der Regel erhebliche Ressourcen aufzuwenden sind, um diese Chancen des Digitalisierungstrends zu nutzen, ist vor allem für kleine und mittlere Institutionen eine große Herausforderung. Zudem ist eine nachhaltige Ausgestaltung der digitalen Innovationen ein Schlüssel für ihren langfristigen Nutzen.
Der Vortrag illustriert die Anforderungen an Museen aus der Sicht der Digital Humanities am Beispiel des 2016 gestarteten Projekts „Virtuelle Verbund-Systeme und Informations-Technologien für die touristische Erschließung von kulturellem Erbe (ViSIT)“, das in einem grenzüberschreitenden regionalen Verbund von Standorten und den dort ansässigen Kulturerbe-Institutionen mit Hilfe digitaler Kooperations- und Vermittlungsformen das Ziel verfolgt, die Vermittlung von Regionalgeschichte innovativ zu gestalten.

Bibliographie

Clough, G. Wayne (2013):
Best of both worlds: Museums, libraries, and archives in a digital age.
Washington: Smithsonian Institution.

Keene, Suzanne (1998):
Digital collections: Museums and the information age.
Oxford: Butterworth-Heinemann.

ICOM (2004):
ICOM Code of Ethics for Museums
http://icom.museum/the-vision/code-of-ethics/ [letzter Zugriff 24. August 2016].

Koch, Gertraud (2015):
„Kultur digital. Tradieren und Produzieren unter neuen Vorzeichen“,
in: Bolenz, Eckard / Franken, Lina / Hänel, Dagmar:
Wenn das Erbe in die Wolke kommt: Digitalisierung und kulturelles Erbe.
Essen: Klartext.

Müller, Carl Christian / Truckenbrodt, Michael (2013):
Handbuch Urheberrecht im Museum: Praxiswissen für Museen, Ausstellungen, Sammlungen und Archive.
Bielefeld: transcript.

Hamburger Note (2015):
Hamburger Note zur Digitalisierung des kulturellen Erbes
http://hamburger-note.de/ [letzter Zugriff 24. August 2016].

Low, Jyue Tyan / Doerr, Martin (2010):
A Postcard is Not a Building: Why we Need Museum Information Curators
http://network.icom.museum/fileadmin/user_upload/minisites/cidoc/ConferencePapers/2010/low.pdf [letzter Zugriff 24. August 2016].

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Conference Info

In review

DHd - 2017
"Digitale Nachhaltigkeit"

Hosted at Universität Bern (University of Bern)

Bern, Switzerland

Feb. 13, 2017 - Feb. 18, 2017

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Conference website: http://www.dhd2017.ch/

Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.

Series: DHd (4)

Organizers: DHd