Freie Universität Berlin (FU Berlin)
Der aktuelle Diskurs in den Digital Humanities dreht sich
vorwiegend um die Frage nach der Fruchtbarmachung digitaler Daten für
wissenschaftliche Erkenntnisse. Dabei wird zunehmend die Maxime laut, dass
geisteswissenschaftliche Kernmethoden informationstheoretische und –praktische
Ansätze aufzunehmen hätten. Zu einseitig sei noch die Tätigkeit der Kunstgeschichte,
nur digitale Quellen zu generieren und eine „digitized“ anstatt eine „digital art
history“ (Drucker 2013) zu betreiben. Die für die Geisteswissenschaften typische
hermeneutische Herangehensweise sollte beispielsweise Niederschlag in den
Aushandlungsprozessen der „neuen“ Forschungsthemen der Digital Humanities finden
(Gaehtgens 2013). In nahezu allen Bereichen – den Visualisierungen und
Modellierungen sowie den zahlreichen Bild-Text-Datenbanken der bildbasierten
Wissenschaften – lassen sich jedoch weder Ansätze einer selbstreflexiven Forschungs-
und Vermittlungstätigkeit noch die Thematisierung prozessualer Vorgänge ausmachen.
Gerade die Prozessualität von Forschung und Vermittlung in den Künsten, die
historisch bedeutende Vorgänger aus dem analogen Bereich des Museums- und
Publikationswesens hervorgebracht hat, müsste verstärkt Eingang in die
Problematisierung von computergestützter Forschung in der Kunstwissenschaft
finden.
Mein Beitrag will mit historischen analogen und aktuellen
digitalen Beispielen aus den objektbezogenen Bereichen der digitalen Kunstgeschichte
einen Gegenentwurf zu „distant reading“ (Moretti) und „big data“ (beispielsweise Lev
Manovichs vorgeschlagenen Data-Visualisierungen) vorlegen und ein besonderes
Augenmerk auf die Vermittlung und Dokumentation gerade räumlicher Kunst
(Ausstellungen, Installationen) werfen. Ein erster Teil thematisiert Projekte, die
einen besonderen Bezug zwischen der historischen Gegenwart im Raum (Ausstellung) und
deren Dokumentation (Ausstellungskatalog) entwickelt haben. Als besonderes Beispiel
in diesem Kontext dient die erste monografische Ausstellung und Publikation des
amerikanischen Künstlers Richard Tuttle, die Marcia Tucker 1975 für das Whitney
Museum of American Art eingerichtet hat. Dieses Beispiel dient als Grundlage zu
weiterführenden Überlegungen, wie rahmende Formate („framing devices“, Doulkaridou,
2015) nicht nur Zugang zu Daten bieten, sondern auch deren Interpretation
beeinflussen. Mögliche Strukturen der Vermittlung sind idealerweise durch eine
Verräumlichung, wie sie bereits auch in Ausstellungen angelegt ist, geprägt. Dabei
gilt es, nicht nur diese Strukturen auf ihre Nutzbarkeit in den Digital Humanities
hin zu prüfen, sondern zugleich auch die gerne zur Wissensvermittlung herangezogenen
Instrumente wie Modell, Modellierung oder Visualisierung kritisch zu befragen. Ein
zentraler Diskussionspunkt ist beispielsweise die Frage nach dem Umgang historischer
Lücken, die in Modellierungen oder Visualisierungen bisher keine allgemein
eingeführten Formate gefunden haben, jedoch von großer wissenschaftlicher Relevanz
sind. Gerade in bilderzeugenden Verfahren liegt der Schwerpunkt in der
Visualisierung von vorhandenen Daten oder gar der Generierung neuer Daten, nicht
aber in der Thematisierung der Datenlücken bzw. der prinzipiell fragmenthaften
Quellenlage historischer Ereignisse, die sich an Dokumenten, Artefakten oder
Kunstwerken festmachen lassen. An dieser grundlegenden Frage nach den Möglichkeiten
digitaler Verfahren unterschieden sich die textbezogenen von den objektbezogenen
Geisteswissenschaften in dem Sinne, dass bei den ersteren die Vorstellung einer
potentiellen Fragmenthaftigkeit der zumindest gedruckten Literatur vernachlässigt
wird.
In einem zweiten Teil stellt der Vortrag drei unterschiedliche
Ansätze der digitalen Kunstgeschichte vor, die sich einer kritischen Interpretation
von bildbasierten Daten annähern: Das hypermediale Text-Bild-Archiv zu Anna
Oppermanns Werken (Leuphana Universität Lüneburg; Wedemeyer; Warnke; Terstegge), das
von mir entwickelte digitale Dokumentationsprojekt PTPROJECT.NET zum amerikanischen
Künstler Paul Thek sowie die von Catherine Dossin konzipierte kritische Umsetzung
eines Mapping-Projekts zur Rezeption amerikanischer Kunst im westlichen
Nachkriegseuropa. Alle drei Projekte verbinden eine strukturelle Anlage, die über
eine reine Bilddatenbank hinausgeht. Sie zeigen einen Umgang mit Quellenmaterial
auf, das sich als „small data“ bezeichnen ließe und das Hinweise auf seine
Entstehungsgeschichte bietet.
Meine Überlegungen zielen folglich auf eine Umkehrung von den Verfahren der „big data“ zu einem Konzept der „small data“ im Kontext der kunsthistorischen Wissensbildung ab. Das Konzept der „small data“ fokussiert auf die kritische öffentliche Vermittlung von digitalen Daten, die gerade ihre Entstehungsgeschichte, Einzigartigkeit sowie ihre übersetzten inhärenten Qualitäten der abgebildeten künstlerischen Objekte und ihrer Verfahren in die Vermittlung miteinbeziehen und nicht durch einen distanzierten Blick auf die digitalisierte Masse ungreifbar machen wollen. Die Herausforderung dieses Ansatzes besteht darin, auf theoretischer Ebene einen Diskurs anzuregen, der sich mit der Problematik des „lückenhaften Quellennetzes“ (Reinhard Koselleck) in Bezug zu wissenschaftlichen Fragestellungen befasst, und der zugleich auf praktischer Ebene eine Umsetzung in veränderbaren, digitalen Wissensstrukturen ermöglicht.
Bibliographie
Dossin, Catherine (2012): „Mapping the Reception of
American Art in Postwar Western Europe“, in: Artl@a
Bulletin 1, 1: Article 3.
Doulkaridou, Elli (2015): “Reframing Art History”, in:
DAH-Journal 1: 67-83 http://dx.doi.org/10.11588/dah.2015.1.21638 [letzter Zugriff 11.
Oktober 2015].
Drucker, Johanna (2013): „Is There a „Digital“ Art
History?“, in: Visual Resources: An International Journal
of Documentation 29, 1-2: 5-13.
Gaeghtens, Thomas W. (2013): „Thoughts on the Digital
Future oft he Humanities and Art History“, in: Visual
Resources: An International Journal of Documentation 29, 1-2:
22-25.
Kosselleck, Reinhard (1995): „Ist Geschichte eine
Fiktion?“, Interview von Hasso Spode mit Reinhard Kosselleck, in: NZZ Folio 3.
Manovich, Lev (2015): „Data Science and Digital Art
History“, in: DAH-Journal 1: 13-25.
Moretti, Franco (2013): Distant
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Neubauer, Susanne (2005): PTPROJECT.NET. Outline of the Research Project
http://www.ptproject.net/introduction_more.php [letzter Zugriff
11. Oktober 2015].
Tucker, Marcia (1975): Richard
Tuttle New York: Whitney Museum of American Art.
Warnke, Martin / Wedemeyer, Carmen (2011): “Documenting
Artistic Networks”, in: Leonardo. Journal of the
International Society for the Arts, Sciences and Technology 44, 3: 258-259.
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March 7, 2016 - March 11, 2016
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Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.
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