DH-Projekte Österreichischer Literaturarchive: Ein Problembericht

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  1. 1. Vanessa Hannesschläger

    Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH) - OEAW Österreichische Akademie der Wissenschaften / Austrian Academy of Sciences

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Einleitung
In diesem Beitrag werden die Probleme skizziert, die sich aus Praktiken
Österreichischer Archive bei der Umsetzung von online-Projekten ergeben. Die
Beschränkung auf Österreich ergibt sich, um die Beispiel-Palette überschaubar zu
halten; die Problembereiche und Lösungsvorschläge lassen sich allerdings
allgemein anwenden. State-of-the-art Projekte von Bibliotheken und Archiven im
deutschsprachigen Raum, die den neusten Stand der Forschung umsetzen, werden in
einem ersten Schritt beschrieben. Der zweite Abschnitt skizziert Gründe dafür
und Konsequenzen daraus, dass diese Standards häufig nicht herangezogen werden.
Schließlich werden Lösungsvorschläge präsentiert und eine Agenda vorgeschlagen,
die die Situation nachhaltig verbessern könnte. Diese wird im Rahmen des
Vortrags auf der DHd 2016 im Zentrum stehen. Dort werden auch die hier allgemein
beschriebenen Schwierigkeiten anhand mehrerer Beispielprojekte illustriert.

Forschungsstand / Vorbildprojekte
Vor allem im Bereich der digitalen Edition haben sich im deutschsprachigen Raum
auf breiter Ebene Standards und “best practices” entwickelt, die von einer
etablierten Community umgesetzt werden. Umfangreiche Bibliotheken publizierter /
rechtefreier Werke bieten etwa das
Deutsche Textarchiv

oder der Forschungsverbund
TextGrid
. Diese Plattformen greifen zur Annotation der zur Verfügung gestellten
Texte auf die Auszeichnungssprache XML und das Datenformat TEI zurück, die sich
in den DH als Standards etabliert haben, und machen auch ihre entsprechenden
Tools verfügbar. Die Texte selbst sind creative-commons-lizenziert und können
von der Website des Deutschen Textarchivs downgeloadet werden, ebenso wie aus
dem TextGrid Repository, das darüberhinaus als
Langzeitarchiv fungiert.
Im Bereich der Beforschung von Archivbeständen überwiegen im digitalen Raum
ebenfalls Editionsprojekte, die die erwähnten Standards zur Anwendung bringen.
Beispiele hierfür sind das
Heinrich-Heine-Portal
, das u. a. vom Deutschen
Literaturarchiv Marbach unterstützt und vom Trier Centre for
Digital Humanities umgesetzt wird, oder die
Digitale Edition der Korrespondenz August Wilhelm Schlegels
,
an der letztgenanntes Zentrum ebenfalls beteiligt ist. Die Herzog August
Bibliothek Wolfenbüttel erarbeitet für ihre in der Reihe
Editiones Electronicae Guelferbytanae

publizierten digitalen Editionen ebenfalls neue Editionstechniken auf Basis der
TEI und stellt dazu Dokumentation zur Verfügung. Ein positives Beispiel mit
Österreichischer Beteiligung (eine Kooperation zwischen dem Literaturarchiv der
ÖNB und dem Institut für Germanistik der Universität Hamburg) ist die
Hybridedition des Briefwechsels August Sauer – Bernhard Seuffert (ÖNB 2015), die die Metadaten der online
edierten Briefe entsprechend TEI Standards codiert.
Wegweisend speziell für die Arbeit mit literarischen Nachlässen ist auch das
Virtual Research Environment (VRE)
SALSAH
(System for Annotation and Linkage of
Sources in Arts and Humanities) des Digital Humanities
Lab der Universität Basel, das ähnlich dem System von Susan Schreibmans

versioning machine
funktioniert.

Im Bereich der Archivierung und Bereitstellung von elektronischen Publikationen,
Multimedia-Objekten und anderen digitalen Daten wird in Österreich das Projekt

e-Infrastructures Austria
umgesetzt, das u. a. mit Horizon
2020 verbunden ist und wichtige Impulse für Forschungswebsitearchivierung
bringen könnte.

Problemanalyse
Die in Österreichischen Literaturarchiven aufbewahrten Bestände werden im Rahmen von wissenschaftlichen Projekten mit direkt an der Institution angesiedelten Mitarbeitenden erforscht und publiziert. Aufgrund der Vergabepolitik des FWF Forschungsfonds, der in den allermeisten Fällen Geldgeber dieser Unternehmen ist, haben die betreffenden Projekte mittlerweile häufig eine digitale Komponente. Projektleitende und Mitarbeitende sind zumeist literaturwissenschaftlich ausgebildet. Sie konzipieren und entwerfen, wie die digitale Repräsentation ihrer Arbeit strukturiert wird und erarbeiten das wissenschaftliche Konzept, das Inhalt und Funktionalität zugrundeliegt. Für die technische Umsetzung werden meist erst nach Abschluss der konzeptionellen Arbeit externe Auftragnehmende engagiert, oft privatwirtschaftliche IT-Unternehmen, die von den Möglichkeiten, die im Bereich der DH bereits verfügbar wären, nur eingeschränkte Kenntnis haben.
Aus dieser Situation ergeben sich Probleme in mehreren Bereichen:

Langzeitarchivierung von Scans
Die im Rahmen von Projekten erstellten Scans sollten in einer digitalen Langzeitarchivierung der projekttragenden Institution abgelegt werden, was fallweise versäumt wird. Gründe:

fehlender Speicherplatz
fehlende Arbeitszeit (sowohl auf Projekt- als auch auf Institutionsseite)
pragmatische Lösungen: Langzeitarchivierungstaugliche Scans bedeuten einen aufwändigeren Arbeitsprozess
die Materialien werden häufig nicht in größere Projekte eingespeist
(z. B. Europeana)

Datenmodellierung
Die Projektzuständigen haben aufgrund ihrer Ausbildung meist einen editorischen oder von archivarischen Ordnungsprinzipien geprägten Zugang zur Modellierung und Strukturierung der Projektdaten. Gründe und Konsequenzen:

die gewählten Datenmodelle sind selbst innerhalb einzelner Geisteswissenschaften nicht homogen
wie konkret die gewählten Daten zu notieren und annotieren sind, wird in jedem Projekt individuell entschieden
selbst bei Orientierung an vorhandenen Standards ergeben sich unterschiedliche Auslegungen
keine ausreichenden Kenntnisse von TEI und anderen Standards
“Selbstverständlichkeiten” werden im Datenmodell oft vergessen (z. B.
die Angabe der Verfassenden, wenn ein Projekt sich mit dem Werk einer
Einzelperson beschäftigt.)
keine transdisziplinäre (Wieder-)Verwendung der Daten

Technische Umsetzung, Vernetzung, Visualisierung
Forschungsprojekte werden häufig in Zusammenarbeit mit Firmen umgesetzt, die nicht (primär) mit wissenschaftlicher Klientel arbeiten, deren Wünsche und Methoden daher nicht im Detail verstehen und nicht mit bereits existierenden DH-Tools und Ressourcen vertraut sind. Konsequenzen:

keine semantische Annotation, Vernetzung mit verfügbaren Datensätzen bzw. LOD
keine projektinterne Vernetzung der Daten
keine strukturierte Visualisierung des Datensatzes

Langzeitarchivierung / Verfügbarmachung von Daten
An hostenden Institutionen werden kaum personelle Ressourcen zur Wartung abgeschlossener online-Projekte einkalkuliert. Projekt-Websites sterben daher oft nach wenigen Jahren, mit ihnen die Daten. Auch in Projektfinanzierungsplänen wird dieser Aspekt bislang nicht berücksichtigt. Konsequenzen:

Daten werden nicht als LOD zur Verfügung gestellt
Trägerinstitutionen archivieren die Daten nicht sachgemäß

Lösungsansätze
Der skizzierten Situation muss auf allen Ebenen begegnet werden:

Institutionen
Seitens der hostenden Institutionen muss stärker daran gearbeitet werden, für langfristige Datensicherung Möglichkeiten zu entwickeln und anzubieten oder Kooperationen mit Langzeitdatenarchiven einzugehen. Dafür müssen sowohl substanzielle finanzielle als auch personelle Ressourcen explizit dieser Aufgabe zugeordnet werden. Die Postionen, die die
AG Datenzentren im Verband DHd 2015 formuliert hat, sind dafür wertvolle Impulse und sollten stärker an Institutionen herangetragen werden. Da die betreffenden Institutionen meist Bibliotheken bzw. an solche angeschlossen sind, scheint es auch gewinnbringend, die institutionsinterne Kommunikation zu intensivieren: "digitale Biliothek"-Abteilungen haben für viele der skizzierten Probleme bereits gute Lösungsansätze entwickelt, wie das umfangreiche Vortragsprogramm zu diesem Thema am Österreichischen Bibliothekartag 2015 gezeigt hat. Auch die ÖNB hat mittlerweile eine wichtige Initiative in Angriff genommen: Eine interne Arbeitsgruppe Digital Humanities soll dort Lösungen für die digitale Arbeit entwickeln. Diese Herangehensweise kann für Bibliotheken allgemein als Vorbild dienen, sollte aber auch mit einer Initiative verbunden sein, die im Idealfall kollaborativ erarbeiteten (technischen) Lösungen mit anderen Bibliotheken und Digital Humanists zu teilen.

Fördergebende
Bei der Bewilligung von Projektanträgen sollten Fördergebende die skizzierten Probleme ernsthaft berücksichtigen und Projekte, die keine ausreichenden Ressourcen für die Arbeit an der digitalen Repräsentation der Projektergebnisse vorsehen, ablehnen - anstatt die Praxis, utopische Ziele in Projektanträge einzubauen, zu unterstützen. (Inter)Nationale DH-Plattformen sollten es sich zur Aufgabe machen, ein entsprechendes Empfehlungspapier zur Verfügung zu stellen. Bedenkenswert ist auch die Forderung nach einem “offenen Lebenszyklus” von Forschungsprojekten, die etwa von der Plattform

digital humanities austria

gestellt wird.

Forschende
Das größte Potential zur nachhaltigen Verbesserung der Situation liegt im
Bereich der Projektangestellten. Geisteswissenschaftlich Forschende erfahren
im Rahmen des Studiums unzureichende Ausbildung zur Arbeit im digitalen Raum
und haben in der Folge entsprechende Hemmungen, mit digital humanists in
Austausch zu treten. Deshalb werden DH von nicht primär im digitalen Raum
arbeitenden Forschenden noch immer als eigene Disziplin wahrgenommen anstatt
als Teil und Methode des geisteswissenschaftlichen Forschens an sich. Hier
muss Bewusstsein geschaffen und Skepsis abgebaut werden, indem die Lehrpläne
grundlegend überarbeitet und gegenwärtigen Standards angepasst werden.
Dadurch würden viele der umrissenen Probleme gar nicht erst entstehen. Neben
den Forschenden der Zukunft, die man so erreichen kann, müssen kurz- bis
mittelfristig auch die Forschenden der Gegenwart stärker animiert werden,
sich mit seriösen Methodiken und Frameworks für Forschungsprojekte im
digitalen Raum auseinanderzusetzen, indem sie dort, wo sie mit ihrem Wissen
stehen, abgeholt werden. Dafür kann etwa die Vorgehensweise des
Austrian Centre
for Digital Humanities
der Österreichischen Akademie der
Wissenschaften als vorbildlich genannt werden: Hier steht den Forschenden
ein digitaler Helpdesk zur Verfügung, der über Möglichkeiten und potentielle
Partner für Projekte informiert. Auch das Outreach-Programm, in dessen
Rahmen Vorträge, Workshops und eine jährliche DH-Konferenz veranstaltet
werden, bietet die Möglichkeit, sich über digitale Methoden zu informieren
und mit digital humanists in Kontakt zu treten. Ebenso zu begrüßen sind die
Outreach Programme des
Zentrum für Informationsmodellierung – ACDH
der
Universität Graz, das vor allem im Bereich der Lehre ein Österreichweites
Vorbild sein sollte, und von e-Infrastructures
Austria.

Die Arbeit in den Bereichen Helpdesk und Outreach zeigt, dass für eine zeitnahe Verbesserung der Situation Adaptionen in der Ausbildung der Forschenden der Zukunft alleine nicht ausreichen; um die Forschenden der Gegenwart zu erreichen, die nicht in digitaler Methodik ausgebildet wurden und sich (noch) nicht damit auseinandergesetzt haben, braucht es “Übersetzende”, die die Kommunikation zwischen rein geisteswissenschaftlich und rein digital Denkenden erleichtern und Brücken bauen. Die Wichtigkeit solcher Bindeglieder, die “beide Sprachen sprechen”, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, da sie allen Beteiligten Frustration, Zeit, überflüssige Arbeit und letztlich auch Geld ersparen können. Zentren, Institute und Verbände, die in den Digital Humanities arbeiten, sollten ihre Aufmerksamkeit vermehrt auf diesen neuen Arbeitsbereich der digital Übersetzenden richten und ihre Aktivitäten gezielt in diese Richtung lenken.

Conclusio
Die unzureichende Vernetzung geisteswissenschaftlich Forschender mit der DH Community führt zu technischen Unzulänglichkeiten in abseits davon ambitionierten digitalen Projekten, die ihre Nachhaltigkeit gefährden. Gegenseitige Annäherung über Outreach-Programme und die Adaption der Lehrpläne geisteswissenschaftlicher Studienrichtungen, vor allem aber verbesserte interne und externe Kommunikation sind notwendig, um zu nachhaltiger Verbesserung der Situation zu gelangen.

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Conference Info

In review

DHd - 2016
"Modellierung - Vernetzung – Visualisierung: Die Digital Humanities als fächerübergreifendes Forschungsparadigma"

Hosted at Universität Leipzig (Leipzig University)

Leipzig, Germany

March 7, 2016 - March 11, 2016

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Conference website: http://dhd2016.de/

Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.

Series: DHd (3)

Organizers: DHd