Universität Paderborn
Universität Paderborn
Universität Paderborn
Universität Paderborn
Erkenntnisse der Digital Humanities, so die Hoffnung vieler Wissenschaftler, führen das Wissen aus den Elfenbeintürmen der Universitäten heraus (vgl. etwa Lauer 2013). Viele Bildungspotenziale, wie die Demokratisierung von Wissensbeständen im Sinne von Zugang, Partizipation, Reflexion und Emanzipation, lassen sich den Digital Humanities problemlos zuschreiben. Auch wenn die Digitalisierung, Auszeichnung und Verarbeitung digitaler Artefakte bislang im Zentrum der Digital Humanities stehen, gilt es gleichzeitig, die Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer zu erschließen. Letztendlich entstehen Wissen und Bildung nicht singulär, sondern in sozialen Kontexten, indem Menschen auf Basis ihres bislang erarbeiteten Wissenstandes Ressourcen nutzen, sich mit ihnen auseinandersetzen und diese transformieren. Wie aber werden Technologien innerhalb der Digital Humanities gegenwärtig genutzt, welche wissenschaftlichen Potenziale eröffnen sich und welche Restriktionen bestehen? Damit gilt es die Wissenschaftlerin und den Wissenschaftler in den Blick zu nehmen (vgl. auch Edwards 2012) und vom forensic zum formal layer (vgl. Kirschenbaum 2008) zu wechseln. Aber auch Kirschenbaums formal layer bringt nicht ganz zum Ausdruck, was Drucker (2013) mit der performativen Ebene von Materialität beschreibt: Handeln, der Umgang der Nutzer mit kulturellen, aber auch immateriellen Artefakten, prägt die Wahrnehmung, Beurteilung und kulturelle Bedeutung dieser Artefakte mit. Digitale Editionen, Softwareentwickler und Editorinnen und Editoren befinden sich neuerdings in einem komplexen reziproken Verhältnis und entwickeln derzeit durch ihre Arbeit andere Repräsentationen und damit ein neues Verständnis von Editionen.
In Bezug auf digitale Musik- und Medieneditionen gilt es festzuhalten, dass es DEN
Anwender gar nicht gibt. Aufgrund der Komplexität der Editionsanwendungen sind ganz
verschiedene Aspekte wissenschaftlicher Tätigkeiten und Anwendungsmöglichkeiten
damit verbunden. Diese gilt es differenziert zu betrachten, sollen mögliche
Potenziale letztlich nicht nur illusorischer Natur sein oder ungenutzt bleiben. Im
Rahmen des Projekts „Zentrum Musik-Edition- Medien. Musik und nicht-textuelle
Objekte im Kontext digitaler Editionen“ befasst sich ein Teilprojekt damit, die
Perspektive der Editorinnen und Editoren mittels medien- und
sozialwissenschaftlicher Befragungen zu erheben. Ziel ist es zum einen, die
veränderte wissenschaftliche Editionspraxis zu untersuchen und zum anderen, die
empirischen Untersuchungsergebnisse in die Optimierung der Editionssoftware
einfließen zu lassen. Die Editorinnen und Editoren arbeiten an der Schnittstelle vom
computer und cultural layer (Manovich 2001), d. h. sie arbeiten mit Metadaten und
Auszeichnungssprachen und müssen somit die Logiken des Prozessierens des Computers
verstehen. Gleichzeitig arbeiten sie mit den Transformationen an der Oberfläche,
lassen sich Teile oder Überblicke bestimmter Werkaspekte anzeigen, um editorische
Entscheidungen zu treffen und bilden damit einen ganz versierten Wissenschaftstypus
ab. Darüber hinaus gibt es weitere Anwenderinnen und Anwender wie etwa Tonmeister,
Dozenten und Studenten, deren Perspektiven noch erhoben werden sollen.
Zunächst wurde von Juli bis August 2015 sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Erhebung bei Editorinnen und Editoren durchgeführt. Bei der qualitativen Studie wurden acht Interviews von eineinhalb bis dreieinhalb Stunden Dauer geführt. Bei der quantitativen Befragung wurden bislang 60 Editorinnen und Editoren befragt. Ziel der quantitativen Erhebung ist es, möglichst viele Editorinnen und Editoren unabhängig von der Art der bearbeiteten Editionen zu ihrer wissenschaftlichen Arbeit, Kommunikation und Softwarenutzung zu befragen. Mit der qualitativen Befragung hingegen wurden nur Editorinnen und Editoren interviewt, die mit der Editionssoftware Edirom arbeiten. Hier standen die persönlichen Erfahrungen, Erwartungen, Arbeitsweisen und Orientierungen der Wissenschaftler im Zentrum.
Die quantitative Erhebung zeigt, dass durch die überwiegend projektbezogene Forschung
neue Anforderungen an Werkzeuge gestellt werden, welche das vernetzte, kooperative
und kollaborative Arbeiten unterstützen. Dabei deutet sich an, dass sich die über
viele Jahrzehnte bewährten Arbeitsabläufe in den Geisteswissenschaften im Zuge der
Digitalisierung grundlegend verändert haben. So zeigt sich bereits ein stetiger
Prozess, in welchem sich die neuen Werkzeuge in die Arbeitsabläufe der Editorinnen
und Editoren einfügen. Die Befragung bestätigt zudem Warwicks (2012) These, dass
Geisteswissenschaftler eben keine Technikverweigerer sind, sondern einfach
spezifische Anforderungen und Arbeitsabläufe formulieren, was zu den in den DH
diskutierten und zu bearbeitenden Herausforderungen für die Entwickler von
Werkzeugen und Software führt.
In den qualitativen Interviews wurde deutlich, dass mit der Editionssoftware ganz neue Arbeitskontexte und Repräsentationsmöglichkeiten entstehen, die die bisherige Editionspraxis unterstützen, erweitern und den Forscherinnen und Forschern andere Perspektiven ermöglichen. Darüber hinaus ergaben sich daraus spannende Einblicke in bisherige Karriere- und Ausbildungswege der Editorinnen und Editoren, die nicht nur durch musikwissenschaftliche Expertise vorweisen müssen. Hinsichtlich der nutzerorientierten Softwareentwicklung bieten die Interviews sehr gute Hinweise auf sich etablierende Handlungsroutinen, die in der Software abgebildet werden müssen. Ebenso gibt es Verweise auf erhebliche Arbeitserleichterung durch die Softwarenutzung und notwendige Weiterentwicklungen, um bislang nicht verfügbare Repräsentationsmöglichkeiten einzubeziehen und innovative Fragestellungen bearbeiten zu können. Aus dem qualitativen Material lässt sich bereits jetzt ablesen, dass durch die digitalen Werkzeuge und Repräsentationsmöglichkeiten Editionen als solche als Gegenstand akademischer Auseinandersetzungen interessant werden: Welche Möglichkeiten der (Re-) Präsentation gibt es, welche Informationen gehören dazu, welche Analysemöglichkeiten entwickeln sich durch die digitale Sammlungen, wann ist ein Endpunkt der wissenschaftlichen Erkenntnis erreicht, oder wird lediglich ein Kontinuum der Wissensproduktion dokumentiert? In diesem Sinne zeigt sich, dass die empirische Nutzerforschung zum einen sowohl die Softwareentwicklung bereichert, als auch neue Impulse für aktuelle theoretische Diskurse in den Digital Humanities anbietet.
Bibliographie
Drucker, Johanna (2013): "Performative Materiality
and Theoretical Approaches to Interface", in: Digital
Humanities Quartely 7,1 http://www.Digitalhumanities.org/dhq/vol/7/1/000143/000143.html
[letzter Zugriff 03. September 2015].
Edwards, Charlie (2012): "The Digital Humanities and
Its Users", in: Gold, Matthew K. (ed.): Debates in the
Humanities
http://dhdebates.gc.cuny.edu/debates/text/31 [letzter Zugriff 03.
September 2015].
Kirschenbaum, Matthew (2008): Mechanisms. New Media and the Forensic Imagination. Cambridge: MIT
University Press.
Lauer, Gerhard (2013): "Die digitale Vermessung der
Kultur. Geisteswissenschaften als Digital Humanities", in: Geiselberger,
Heinrich / Moorstedt, Tobias (eds.): Big Data. Das
neue Versprechen der Allwissenheit. Berlin: Suhrkamp.
Manovich, Lev (2001): Language of
New Media. Cambridge: MIT Press.
Warwick, Claire (2012): "Studying users in digital
humanities, in: Warwick, Claire / Terras, Melissa / Nyhan, Julianne (eds.):
Digital Humanities in Practice. London: Facet
Publishing.
If this content appears in violation of your intellectual property rights, or you see errors or omissions, please reach out to Scott B. Weingart to discuss removing or amending the materials.
In review
Hosted at Universität Leipzig (Leipzig University)
Leipzig, Germany
March 7, 2016 - March 11, 2016
160 works by 433 authors indexed
Conference website: http://dhd2016.de/
Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.
Series: DHd (3)
Organizers: DHd